2 Problem- und Zielstellung
Die Kopplung von qualitativen und quantitativen Daten (kategoriale Merkmalsdaten) ist das wichtigste Element für eine Wettkampfanalyse in den Zweikampfsportarten (Lüdemann et al., 2014) und stellt als Mixed Methods Approach die Basis für eine systematische Beobachtung dar (Bazeley, 2016). Hierzu werden videogestützte Informationssysteme verwendet, die mehrheitlich auf einem Kategoriensystem mit einem merkmalsbasierten Analyseansatz basieren. Die selektierten wertungsbringenden Ereignisse werden zeitlich einzeln voneinander getrennt beobachtet (sequenzielle Beobachtungszeitpunkte) und mit mehreren Technikmerkmalen versehen. Die anschließende Wettkampfanalyse ermöglicht Häufigkeiten, Quotienten und Indizes zu erfassen, die Auskunft über effektive Wurftechniken, Angriffsarten, Wurfrichtungen oder Vielseitigkeitsprofile geben (Błach et al., 2021; Camargo et al., 2019; Franchini et al., 2008; Heinisch et al., 2017; Tünnemann et al., 1996).
Ausgehend von der aktuellen Studienlage reichen aber diese Informationen für fundierte Aussagen zu Handlungsketten oder Verhaltensmustern im Spitzenbereich nicht aus. Gutiérrez-Santiago et al. (2019) mahnen diese Problematik einer ausschließlich deskriptiven Forschungsstrategie von Angriffsaktionen im Judo an und empfehlen zusätzlich neuere Analyseverfahren (z. B. T-Pattern, sequentielle Analyse von Delays oder Polarkoordinatenanalysen). Die bisherigen wissenschaftlich gestützten Informationen entsprechen zudem nicht mehr den strategischen und technisch-taktischen Bedarfen der deutschen Spitzentrainer*innen (Bundestrainer und Bundesstützpunkttrainer). Für den praxisnahen Wissenstransfer sind Themenschwerpunkte, wie der Griffkampf (Kumi-kata), Zwischenhandlungen, Angriffsvorbereitung, Grifferöffnungen, Übergang-Stand-Boden, Technikkombinationen und Finten von zentraler Bedeutung. Diese Themenschwerpunkte verlangen nach einer Analyse der zeitlichen Abfolge aller Merkmale und Ereignisse vor einer wertungsbringenden Angriffsaktion. Treten diese Abfolgen als wiederkehrendes Verhaltensmuster auf, sollten spezifische observationale Methoden angewendet werden (Anguera et al., 2017).
Das primäre Forschungsziel dieser Untersuchung liegt daher in der Detektion von effektiven Verhaltenssmustern im Spitzenbereich. Hierzu werden temporale Muster (T-Pattern) vom Zeitpunkt der Kontaktaufnahme des Griffes bis hin zur wertungsbringenden Angriffstechnik bestimmt. Insbesondere unter strategischen und technisch-taktischen Rahmenbedingungen (z. B. bei Führung, Rückstand, Gleichstand oder Golden Score) sollen effektive Handlungsmuster für die bevorstehende Qualifikationsphase zu den Olympischen Spiele in Paris 2024 detektiert werden. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der technisch-taktischen Kampfgestaltung im Wettkampf (Dal Bello et al., 2019; Kajmović, 2021; Sterkowicz-Przybycien et al., 2017) ist eine getrennte Betrachtung von effektiven Handlungsmustern notwendig. Aufgrund der begrenzten Kapazitäten des Forschungsprojektes beschränkt sich die Analyse zunächst auf den Männerbereich und könnte zukünftig für die Schwerpunkte im Frauenbereich erweitert werden.
Das sekundäre Forschungsziel liegt in der Bestimmung von internationalen Unterschieden in den detektierten Verhaltensmustern. Diese Erkenntnisse sollen zum einen zur Erweiterung der strategischen und technisch-taktischen Entscheidungen im Situationstraining dienen. Zum anderen lassen sich stereotypische Kampfmuster von Topnationen nachweisen bzw. wiederlegen, um erfolgsversprechende Strategien, ggf. in weiterführenden Untersuchungen, zu prüfen.
Quellen