Vom Fähigkeitskonzept zum metabolischen Profil
Stand: 06/2023
Leistungsdiagnostiken (LD) bilden die Grundlage für das Training eines Athleten. Durch die Messung des aktuellen Leistungsniveaus können Trainingsbereiche abgeleitet, Leistungsentwicklungen dargestellt und so die Trainingsplanung individualisiert und für den Athleten optimiert werden.
Workshop 1 im Rahmen des Spitzensport-Symposiums 2023 in Leipzig
Zur Studie
Verwenden Sie metabolisch begründete Trainingsbereiche, indem Sie metabolische Schwellen und individuelle Parameter anstelle von prozentualen Herzfrequenz- oder Sauerstoffaufnahme-Verteilungen nutzen.
Nutzen Sie das metabolische Profil als Grundlage für die Lokalisation der metabolischen Schwellen. Dadurch erhalten Sie eine präzise und individuelle Einschätzung der Trainingsbereiche.
Verwenden Sie geeignete leistungsdiagnostische Tests und Modelle, um die erforderlichen Parameter für das metabolische Profil zu bestimmen. Falls dies nicht möglich ist, erwägen Sie eine indirekte Berechnung aus den Ergebnissen der klassischen Leistungsdiagnostik.
Simulieren Sie mit dem metabolischen Profil die individuelle metabolische Reaktion bei verschiedenen Belastungsmustern, um eine bessere Kenntnis über Stoffwechselreaktionen und Energiestoffwechsel bei unterschiedlichen Intensitäten zu gewinnen. Dadurch können individuelle Trainingsziele festgelegt und gezielte Entwicklungsziele erreicht werden.
Aktualisieren Sie regelmäßig das metabolische Profil, um den aktuellen Leistungsstand zu erfassen und die Trainingsplanung entsprechend anzupassen. Dadurch gewährleisten Sie eine optimale Anpassung an die individuellen Bedürfnisse und Fortschritte.
Beachten Sie die Grenzen von Modellen und Simulationen, da sie auf Annahmen und Vereinfachungen basieren. Diese können die Genauigkeit der Ergebnisse beeinflussen und zu Abweichungen von der tatsächlichen Situation führen. Kritische Reflexion und Ergänzung mit anderen Informationsquellen sind daher wichtig.
1. Wo sind die Grenzen einer klassischen LD?
Die klassische LD im Ausdauersport untersucht die metabolische und kardio-pulmonale Reaktion bei zunehmender Belastung. Ihre Anwendung ermöglicht die Quantifizierung verschiedener Kenngrößen wie der maximalen Sauerstoffaufnahme (V̇O2max), der aeroben Schwelle (LT1/VT1) und des maximalen Laktat-Steady State (MLSS). Durch den Vergleich dieser Kenngrößen, sowohl zwischen verschiedenen Athlet*innen als auch intraindividuell, kann der Leistungszustand und die Leistungsentwicklung beurteilt werden.
Außerdem dienen die Kenngrößen als Grundlage für verschiedene Schwellenkonzepte, welche die Phasenübergänge der Energiebereitstellung repräsentieren sollen und als wichtige Ankerpunkte für die Trainingsplanung fungieren. Je nach angewandtem Trainingszonenmodell reicht die Anzahl an Intensitätszonen von drei bis hin zu neun Intensitätszonen.
Die aus der klassischen Ausdauerdiagnostik abgeleiteten Trainingsbereiche können Probleme mit sich bringen. Ein mögliches Problem besteht darin, dass die Sportler*innen oft nicht differenziert betrachtet werden und die Trainingszonen auf prozentuale Verteilungen von Herzfrequenz oder Sauerstoffaufnahme basieren. Alternativ erfolgt eine Individualisierung basierend auf metabolischen Schwellen, deren objektive und valide Bestimmung ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Kausalität kaum möglich ist. Zudem gestaltet es sich mit diesem Ansatz schwierig, Wettkampfprognosen abzuleiten und gezielte Entwicklungsziele festzulegen. An diesem Punkt setzt das metabolische Profil an, indem es den Ursprung der markanten Stoffwechselsituationen aufklärt.
2. Was ist ein metabolisches Profil?
Das auf Alois Mader (2003) zurückgehende metabolische Profil basiert auf der Kenntnis von Parametern, die die belastungsspezifische Aktivität von Glykolyse und oxidativer Phosphorylierung hinreichend genau bestimmen. Mit diesem Profil ist es möglich, Stoffwechselreaktionen bei verschiedenen Belastungsmustern zu simulieren und die individuellen Energiestoffwechselreaktionen bei Belastungen unterschiedlicher Intensitäten zu rekonstruieren. Zudem ermöglicht das metabolische Profil Aussagen über die Art der Energiebereitstellung (phosphatisch/alaktazid, lakatzid/glykolytisch, aerob/oxidativ) sowie den Substratverbrauch (Fette, Kohlenhydrate, Proteine). Das metabolische Profil ermöglicht auch Ableitungen zur aktuell möglichen Wettkampfleistung und die Bewertung der Auswirkungen von Veränderungen im metabolischen Profil auf diese Leistung.
3. Welche Parameter benötige ich für die Erstellung eines metabolischen Profils?
Die Eingangsparameter für das metabolische Profil werden durch verschiedene leistungsdiagnostische Tests ermittelt, die bereits seit Jahrzehnten Gegenstand der trainingswissenschaftlichen Forschung sind. Ein wichtiger Parameter ist die maximale Sauerstoffaufnahme (V̇O2max), die als Parameter der oxidativen Leistungsfähigkeit dient. Nach aktuellem Forschungsstand kann die V̇O2max am besten durch einen Rampentest oder einen 3-min-All-out-Test bestimmt werden. Es gibt jedoch auch mathematische Modelle, die es ermöglichen, die V̇O2max auf Basis der V̇O2-Kinetik in kürzeren All-Out-Tests (1-3 min) zu berechnen.
Ein weiterer Parameter des metabolischen Profils ist die maximale Laktatbildungsrate (v̇Lamax), die als indirekter Marker für die maximale glykolytische Energieflussrate und anaerobe Leistungsfähigkeit dient. Das Verhältnis von oxidativer (V̇O2max) und glykolytischer (v̇Lamax) Leistungsfähigkeit bestimmt die Lokalisation der Schwellen als signifikante Stoffwechseländerungspunkte. Eine niedrige v̇Lamax ist in Verbindung mit einer bekannten V̇O2max mit einem höheren MLSS und einer höheren Fettstoffwechselrate verbunden. Dies kann bei Langzeitausdauerleistungen von Vorteil sein, da Kohlenhydrate im Bereich der Wettkampfintensität gespart und vorzeitige Ermüdung vermieden werden können. Allerdings geht eine niedrigere glykolytische Leistungsfähigkeit auch mit einer verminderten Kurzzeitleistung einher. Sportarten oder Sportler*innen, die eine gute Sprintfähigkeit benötigen und/oder kurzzeitig hohe Intensitäten bewältigen müssen, benötigen eine höhere v̇Lamax. Das Training zur Ausprägung des gewünschten Leistungsprofils muss nicht zwangsläufig auf Kosten des anderen Parameters erfolgen. Durch ein individualisiertes und gut strukturiertes Training können V̇O2max und v̇Lamax unabhängig voneinander entwickelt oder aufrechterhalten werden. Die Bestimmung der v̇Lamax kann entweder auf Basis von kurzen maximalen Sprintbelastungen (10-15 Sekunden) aus der Messung des im Blut akkumulierten Laktats erfolgen oder indirekt aus dem Ergebnis einer klassischen Leistungsdiagnostik berechnet werden.
Die Effizienz, also der benötigte Sauerstoffbedarf pro vortriebswirksamer Leistungseinheit (bspw. Watt, km×h-1oder m×s-1), wird ebenfalls als Eingangsparameter benötigt. Sie kann durch das Verhältnis von Sauerstoffaufnahme und Leistung während eines Stufentests bestimmt werden. Es ist zu beachten, dass die Effizienz von der Bewegungsgeschwindigkeit und Technik abhängt. Beim Radfahren sollte beispielsweise auf eine standardisierte Trittfrequenz geachtet werden.
Schließlich werden das Körpergewicht und der Körperfettanteil benötigt. Für den Körperfettanteil empfiehlt sich die Verwendung der 10-Punkte-Hautfaltenmessung nach Parizkova (1977), da die Messung mittels Bioimpedanz große Schwankungen in der Reliabilität aufweisen kann.
4. Welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es für ein metabolisches Profil?
Aus den Eingangsparametern des metabolischen Profils können die individuellen Funktionsverläufe der Sauerstoffaufnahme (V̇O2) und Laktatoxidation, der Laktatbildungsrate (v̇La), des Pyruvatdefizits dargestellt als netto Laktatabbau und der Laktatakkumulation mit steigender Belastungsintensität abgeleitet werden (siehe Abb.). Aus dem Zusammenspiel der Funktionsverläufe lassen sich kausal begründete Stoffwechseländerungspunkte identifizieren. Zum einen den maximalen Muskel-pH-Wert (pHm.max). Dieser Punkt entspricht in der klassischen Diagnostik der LT1/VT1 und kennzeichnet die Leistung, bei der eine signifikante glykolytische Aktivität beginnt. Der Punkt des größten netto Laktatabbaus entspricht dem maximalen Pyruvatdefizit und kennzeichnet die Intensität mit der höchsten Fettverbrennung (Fatmax). Der Schnittpunkt (Crossing-Point) der maximalen Laktatoxidation und der Laktatproduktion, der dem Schnittpunkt des netto Laktatabbaus mit der x-Achse entspricht, repräsentiert das MLSS. In der Literatur wird dieser Punkt als die höchste Intensität charakterisiert, bei der Laktatproduktion und -elimination im Gleichgewicht sind. Im Kontext der Ausdauerleistungsfähigkeit stellt die oberste Intensitätsgrenze die Leistung dar, bei der die maximale Sauerstoffaufnahme erreicht wird (PV̇O2max). Aus diesen vier Ankerpunkten können vier metabolisch begründete Trainingsbereiche abgeleitet werden, die signifikante intensitätsabhängige Rekrutierungsmuster der Arbeitsmuskulatur repräsentieren.
5. Was sind die Grenzen des metabolischen Profils?
Abb. Kennlinien von Sauerstoffaufnahme, maximaler Laktatoxidation, Laktatbildung, netto Laktatabbau und Laktatakkumulation mit steigender Belastungsintensität mit signifikanten Stoffwechseländerungspunkten und daraus resultierenden Trainingszonen für einen Athleten (85 kg, 9,4 % Körperfettanteil) mit einer V̇̇O2max von 6 l×min-1, einer vLamax von 0,4 mmol×l-1×s-1 und einer Effizienz von 12,35 ml×W-1.
Das metabolische Profil gibt Auskunft darüber, wie die metabolische Reaktion auf ein bestimmtes Belastungsmuster ist. Es ist jedoch nicht in der Lage, das optimale Belastungsmuster einer Sportart oder Disziplin zu identifizieren. Um konkrete Aussagen zur Wettkampfleistung zu bekommen, ist es notwendig, die wettkampfspezifischen Anforderungen zu abstrahieren, physikalisch zu beschreiben und stereotype (ideale) Belastungsmuster zu identifizieren. Anschließend kann das metabolische Profil auf diese Muster angewendet werden.
Ein weiteres Problem der ursprünglichen Formulierung des metabolischen Profils besteht darin, dass es keine Bewegungsgeschwindigkeiten (Trittfrequenz, Schrittfrequenz, Schrittlänge, Schlagfrequenz usw.) berücksichtigt. Verschiedene wissenschaftliche Erkenntnisse legen jedoch nahe, dass die metabolische Reaktion bei einer bestimmten Intensität von der Bewegungsgeschwindigkeit abhängt. Dieses Phänomen ist beispielsweise bei Läufen bergauf, bergab oder auf ebenem Gelände zu beobachten. Die Integration von Bewegungsgeschwindigkeiten in das metabolische Profil würde es ermöglichen, gezieltere Aussagen über die Energiebereitstellung, den Substratverbrauch und die Leistungsfähigkeit bei verschiedenen Geschwindigkeiten zu treffen. Dies wäre insbesondere für Sportarten relevant, bei denen die Bewegungsgeschwindigkeit einen signifikanten Einfluss auf die Leistung hat. Die Lösung dieses Problems erfordert eine detaillierte Untersuchung der Beziehung zwischen Bewegungsgeschwindigkeiten und metabolischen Reaktionen. Die Forschung in der Fachgruppe Radsport zielt u.a. darauf ab, dieses Problem zu lösen und die metabolische Profilanalyse um die Berücksichtigung von Bewegungsgeschwindigkeiten zu erweitern.
- Mader, A. (2003). Glycolysis and oxidative phosphorylation as a function of cytosolic phosphorylation state and power output of the muscle cell. European Journal of Applied Physiology, 88 (4-5), 317-338. doi: 10.1007/s00421-002-0676-3
- Parzikova, J. (1977). Body Fat and Physical Fitness. Body Composition and Lipid Metabolism in Different Regimes of Physical Activity. Springer.