Datenanalysen in Echtzeit auf die Trainerbank

Der Traum vom Handball-Europameister Zuhause in Deutschland dürfte aktuell viele Handballfans beschäftigen. Denn seit 10. Januar 2024 läuft die Handball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland. Mit zwei Siegen und einer Niederlage aus der Vorrunde ist das deutsche Team für die Hauptrunde qualifiziert. Mit vor Ort ist IAT-Fachgruppenleiter Handball, Dr. Peter Weigel. Er unterstützt das Trainerteam mit Spielanalysen aus dem entwickelten System „videocoach“, das dem DHB seit 2023 zur Verfügung steht und bereits bei den Junioren erfolgreich eingesetzt wurde.

Peter Weigel, Fachgruppenleiter Handball (Foto: Wolf Sportfoto)

Spielanalyse (Foto: Wolf Sportfoto)

Die Spielanalysen konnten live auf der Bank vom U-21-Trainerteam Martin Heuberger und Klaus-Dieter Petersen eingesehen werden. (Foto: Wolf Sportfoto)

U21-Handball-Weltmeister profitieren von neuem Live-Analyse-Tool

Denn die Junioren haben es vorgemacht. Bei der in Deutschland und Griechenland ausgetragenen U-21-Handball-Weltmeisterschaft der Männer errang Deutschland zum dritten Mal nach 2009 und 2011 den Titel. Mit dabei war auch hier Dr. Peter Weigel. Der Fachgruppenleiter Handball begleitet die U-21 wissenschaftlich, seit er 2021 am IAT angefangen hat. Die WM wurde damals aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Stattdessen fand eine EM statt, die Weigel von zu Hause aus mit Gegneranalysen für das Trainerteam um Martin Heuberger unterstützte. Das Team des Deutschen Handball-Bundes wurde Europameister und der IAT-Wissenschaftler fester Teil des Teams bei Turnieren.

„Ein Erfolgsgeheimnis dieser goldenen Generation ist, dass die U-21-Nationalspieler fest in ihren Vereinen verankert und so regelmäßig in der Bundesliga Spielpraxis sammeln können“, erklärt Peter Weigel.

Unterstützung vor Ort bei der U21-WM

An einem weiteren Erfolgsfaktor war Dr. Peter Weigel unmittelbar beteiligt. Dank des modernen Analysesystems „videocoach“ des Technologiepartners „sportimization GmbH“ standen dem Trainerteam um U-21-Bundestrainer Martin Heuberger bereits während des Spiels auf einem Tablet alle wichtigen Videoszenen zur Spiel- und Gegneranalyse zur Verfügung. „Das Tool war hilfreich, um schnell taktische Entscheidung-gen treffen zu können und zugleich mehr Zeit für die Vorbereitung auf den nächsten Gegner zu erhalten“, erläutert Peter Weigel.

Bei jedem Spiel der deutschen Junioren saß Weigel auf der Tribüne, um in Echtzeit die Spielszenen zu taggen. Vor Ort war er verantwortlich für die Vor- und Aufbereitung von Analysen für die Halbzeitansprache mit einem Videozusammenschnitt der entsprechenden Spielszenen sowie für die Auswertung nach dem Spiel. Im Nachgang erstellte er gemeinsam mit IAT-Kollegin Katrin Heyde zudem eine Turnierstatistik mit einer Gegneranalyse der Schlüsselspieler und der Schwachstellen. Um eine optimale Unterstützung gewährleisten zu können, war es für Weigel wichtig, vor Ort dabei zu sein: „Man muss mit den Trainern im ständigem Austausch sein, um deren wichtigste Ergebnisse und Auslösehandlungen zu kennen, da diese individuell sehr unterschiedlich sind.“

Entwicklungsarbeit für das neue Live-Analyse-Tool

Das neue Live-Analyse-System „videocoach“ ist deutlich schneller als die zuvor eingesetzte Technologie, bei der das Taggen und Schneiden schon einmal drei Stunden Arbeit in Anspruch genommen hat. Hinter „videocoach“ steht Dr. Jan Philipp Steinbach, dessen Firma „sportimization“ seit 2014 mit dem DHB zusammenarbeitet. Um insbesondere die Nationalmannschaften des Deutschen Handballbundes optimal unterstützen zu können, wurde die Software in den letzten Jahren um ein Live-Analyse-Programm erweitert. Dieses ermöglicht den Einsatz während eines Spiels synchron zur Videoaufzeichnung.

Die Unterstützung der Entwicklungsarbeit für die DHB-Live-Analyse „videocoach“ ist Teil des aktuellen Projekts der IAT-Fach-gruppe. Neben den Spielszenen soll auch die Live-Statistik erhoben und für die Trainerbank direkt ausgewertet und dargestellt werden. Dazu hatte Peter Weigel zunächst in einer Delphistudie die Bundestrainer*innen befragt, wie das Trainer-Tablet aussehen soll, damit es nutzergerecht ist und Anwendung findet. Dazu wurden ursprünglich 126 Parameter für eine Spielanalyse zunächst auf 50 verdichtet. Nach der weiteren Verfeinerung blieben letztlich zehn für den Trainer unmittelbar relevante Parameter übrig. Dazu zählen unter anderem die Tore, spezielle Abwehrhandlungen, der Wurf- und der Torsektor von Würfen. Eine solche taktische Auswertung ist unmittelbar hilfreich während des Spiels und für das Turnier, aber besondere Merkmale werden auch für die DHB-Trainerschule aufbereitet. Und so möchte Peter Weigel im nächsten Projekt gern auch längerfristige Entwicklungen aus diesen Taktikanalysen in den Blick nehmen und beispielsweise ermitteln, welche Auslösehandlungen und Abwehrtechniken besonders erfolgreich sind.

Vielfältige Projektarbeit zum Nutzen des DHB

Doch auch über die Forschungs- und Entwicklungsarbeit hinaus ist die Unterstützung der Fachgruppe Handball des IAT für den DHB im aktuellen Olympiazyklus vielfältig. Neben der Spielanalyse und den Weltstandsanalysen bei großen Turnieren liegt ein Hauptaugenmerk auf der IDA Handball, mit der die Dokumentation der Spielleistung erfolgt sowie Leistungsdiagnostik- und Trainingsdaten erfasst werden. Des Weiteren sind die IAT-Wissenschaftler bei der Leistungsdiagnostik der U-Mannschaften dabei, um Daten für den Bundestrainer Athletik zu erheben und aufzubereiten, und führen mit den Nachwuchsathletinnen und -athleten regelmäßig Maßnahmen zur Präventivdiagnostik durch. Zudem wurde die breit genutzte ShuttleRun-App in ein neues Tool umgewandelt.

Für den DHB ist das großes Ziel natürlich die Olympiaqualifikation beider A-Mannschaften. Laut Peter Weigel haben sowohl die Männer als auch die Frauen in ihren beiden Turnieren Chancen, das Finale zu erreichen. „Als Europa- bzw. Weltmeister wäre Deutschland auch direkt für Paris 2024 qualifiziert und müsste nicht über weitere Qualifikationsturniere gehen“, so Weigel. Wenn das Ziel Olympia erreicht wird, dann wäre das Halbfinale in Paris ein großer Erfolg.

*Der Beitrag entstand im Rahmen der Jahresbilanz IAT/FES im Dezember 2023