Wie können schnelligkeitsbetonte muskuläre Leistungen trainiert werden?
Stand: 2017
In Sportarten, in denen hohe Endgeschwindigkeiten oder hohe Kraftstöße in kurzer Zeit von Bedeutung sind, wird im Training oftmals der Schwerpunkt auf die Steigerung der Maximalkraft gelegt. Zwar ist die Maximalkraft eine Basisgröße zur Verbesserung der muskulären Leistung – allerdings nicht immer die entscheidende Leistungsreserve. Stellt man das Training der muskulären Leistung in den Vordergrund, wird neben der Kraft auch die entsprechende Geschwindigkeit berücksichtigt. Ausgehend von dem sportart- bzw. disziplinspezifischen Kraftprofil (Kraft-Geschwindigkeit-Beziehung) kann man für die einzelnen Gliederketten (Beine, Arme) die aktuelle muskuläre Leistung bestimmen und somit das Beschleunigungsvermögen beurteilen (Kennliniendiagnostik I). Dieses gilt es, durch den Einsatz verschiedener Trainingsmittel und -methoden zielgerichtet zu verbessern, sodass sich die Kraft-Geschwindigkeits-Kurve in gewünschter Richtung verschiebt.
Trainer stehen vor der Aufgabe, aus der Vielzahl an Trainingsmitteln und -methoden im (Kraft-)Training diejenigen auszuwählen und zielgerichtet einzusetzen, die perspektivisch den höchsten Übertrag auf die Wettkampfleistung bzw. die muskuläre Leistung bringen. Dabei sollte man bedenken, dass unterschiedliche Trainingsschwerpunkte zu unterschiedlichen Anpassungen im neuromuskulären System (z. B. Muskelhypertrophie oder erhöhte Feuerfrequenz der Motoneurone) und in den kontraktilen Eigenschaften führen II. Die Kraft-Geschwindigkeits-Kurve verschiebt sich nach rechts, jedoch mit unterschiedlich großen Auswirkungen im Kraft- oder Geschwindigkeitsbereich (Abb. 1).
In diesem Zusammenhang sind die Kraftanforderungen für spezifische muskuläre Leistungen erneut auf einem Spektrum zwischen maximal hoher Last/Widerstand und maximal hoher Geschwindigkeit zu sehen. Das bedeutet, dass für eine effektive Vergrößerung der muskulären Leistung eine Vielzahl an Trainingsmitteln und -methoden zum Einsatz kommen müsste, die klassischerweise dem Kraft- und Schnelligkeitstraining, aber auch dem spezifischen Training in der Zielbewegung, zuzuschreiben sind. Es geht daher weniger um die Frage, ob Krafttraining besser als Schnelligkeitstraining ist oder ob man besser kombinierte Methoden einsetzen sollte. Vielmehr sollte man überlegen, welche Akzentuierung zu welchen Anpassungen führt und wie ein sinnvolles Nacheinander gestaltet werden muss, damit zum Wettkampfhöhepunkt das Maximum an spezifischer muskulärer Leistung generiert werden kann. Unabhängig vom genauen Saisonaufbau, kann man sich an folgender Reihenfolge orientieren3.
- Sportliche Aktivität zur allgemeinen Anpassung und Vorbereitung der Strukturen (Muskeln, Sehnen, …).
- Training mit hohen bis maximalen Lasten zur Vergrößerung des Querschnitts und zur Verbesserung der Rekrutierung.
- Explosiv-dynamisches Training mit mittleren und niedrigen Lasten zur Verbesserung der Feuerfrequenz der Motoneurone.
Ausgehend von dieser Orientierung gilt es, die Sportartspezifik und das genaue Ziel zu berücksichtigen und eine individuelle trainingsmethodische Lösung zu erstellen. Dabei bildet ein langfristiger Aufbau/Plan in der Kraftentwicklung 4 und eine Belastungskategorisierung von Trainingsübungen 5 einen Ausgangspunkt. Dies hilft, Überlastung zu vermeiden und im langfristigen Leistungsaufbau hochspezifische Trainingsmittel nicht zu früh einzusetzen.
Beispielhaft soll hier eine ballistische Übung im Juniorenbereich in Form eines beidbeinigen Vertikalsprungs aus einer Auftaktbewegung angenommen werden, wie er z. B. in Spielsituationen (Fußball, Volleyball) zum Einsatz kommt. Das Ziel ist eine Maximierung der muskulären Leistung im vertikalen Sprung, was bei relativ konstanten Körpergewicht und Ausführungsbedingungen über eine Erhöhung der Absprunggeschwindigkeit führen muss. Klammert man den allgemeinen Teil des Trainings aus, so können die Haupttrainingsmittel in einer Art Übungskette mit grundlegenden Übungen und explosiv-dynamischen (ballistischen) Übungen ausgewählt werden 1. Die Übungskette für den Vertikalsprung könnte dann so aussehen (Abb. 2).
Auch wenn einige Trainingsmittel bereits mit der Methode verknüpft sind, besteht weiterhin die Aufgabe, die einzelnen Trainingsmittel mit konkreten Belastungskennziffern und ihrem individuellen methodischen Einsatz zu planen. Dabei muss man sich über die Intensität, den Umfang, die Häufigkeit und natürlich die Erholung Gedanken machen. Je näher man der Wettkampfphase kommt, desto mehr sollte die Qualität der Übungen im Vordergrund stehen. Eine hohe Qualität ist durch eine hohe Spezifität – also vergleichbare Lasten und Geschwindigkeiten zur perspektivischen Zielbewegung gekennzeichnet. Hohe Intensitäten sind dann sparsamer einzusetzen und mit Pausen zu versehen, die eine fast vollständige Erholung sicherstellen. Für unser Beispiel könnten das Hypertrophie- und das IK-Training in unserer Methodenauswahl den Ausgangspunkt darstellen. Diese Methoden werden im weiteren Verlauf immer mehr durch kombinierte Methoden sowie die Schnellkraft- und Muskelleistungsmethode abgelöst und durch Methoden des Schnelligkeitstrainings (Kontrast-/Schockmethode, supramaximale Kontraktionen) vervollständigt 1,6,7. Hierbei ist für Trainer, neben der bewegten Last, grundsätzlich auch die Geschwindigkeit der realisierten Bewegung eine entscheidende Steuergröße. Sie dient dabei der systematischen Akzentverschiebung sowie der Qualitätskontrolle des realisierten Trainings. Hier können moderne und preiswerte Sensoren bzw. Messsysteme für Trainer und Sportler eine wichtige Hilfe und entscheidende Bereicherung des Trainings der muskulären Leistung darstellen. Nicht zuletzt erlauben sie ein gezieltes Training im Bereich des individuellen Optimums der muskulären Leistung. Eine Übersicht über die grundlegenden Charakteristika der einzelnen Methoden ist in nachfolgender Grafik verdeutlicht (Abb. 3).
In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass es keine klaren Grenzen und keine klaren Wechsel von einer Übung bzw. Methode zur nächsten gibt. Vielmehr ist das Training um die Maximierung der muskulären Leistung durch eine kontinuierliche Akzentverschiebung gekennzeichnet, sodass sich verschiedene Trainingsmittel und -methoden innerhalb eines Mikrozyklus wiederfinden können. So kann die Hypertrophiemethode durchaus als „Erhaltungsdosis“ in Phasen eingesetzt werden, in denen sonst explosiv dynamisches bzw. ballistisches Training im Vordergrund stehen sollte. So wie sich der Muskel auf einem Spektrum zwischen Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer mit bestimmten kontraktilen Eigenschaften anpasst, so ist auch die Reizsetzung durch entsprechende Trainingsmittel und -methoden auf diesem Spektrum vorzunehmen.
Plane in deiner Entwicklung der muskulären Leistung stets eine mindestens dreiwöchige Phase zur allgemein-athletischen und technischen Vorbereitung ein.
Entwerfe individuelle Übungsketten, die diejenigen Muskelgruppen belasten, in denen du strukturelle und funktionelle Anpassungen erzielen möchtest. Dabei ist neben sinkender Last und steigender Geschwindigkeit eine zunehmende Spezifität zur Zielbewegung entscheidend.
Steuere dein Training der muskulären Leistung anhand von Intensität, Umfang, Häufigkeit und Erholung. Nutze hierfür die Charakteristika einzelner Methoden und überdenke deren Akzentuierung („Methodenkette“) innerhalb eines Makrozyklus.
Nutze Sensoren oder Messsysteme, um neben der Last bzw. dem Widerstand auch die Geschwindigkeit zu kontrollieren und um zunehmend im Bereich der individuellen optimalen Leistung zu trainieren.
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- Wenzel, U. (2018). Schlaglicht Schnelligkeit: Schneller werden durch reaktive Sprünge! In A. Hoffmann & J. Wulff (Hrsg.). Die Spitze im Blick, Tagungsband zum gleichnamigen Nachwuchsleistungssport-Symposium vom 8.-10. Mai 2017 in Leipzig (Schriftenreihe für Angewandte Trainingswissenschaft, 10, 225-241). Aachen: Meyer & Meyer.