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Was versteht man unter muskulärer Leistung?

Autor: Frank Lehmann, Ingo Sandau & Uwe Wenzel
Hintergrund

Nach dem in Deutschland verbreiteten Fähigkeitskonzept lassen sich alle Sportarten auf einem Dreieck mit den Ecken Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer einordnen1 . Dabei lassen sich typisch kraftorientierte (Gewichtheben) von ausdauerorientierten (Skilanglauf) und schnelligkeitsorientierten Sportarten (Fechten) unterscheiden (Abb. 1) . Trotz dieser Einteilung gibt es immer sportartspezifische Kraftanforderungen, weshalb Krafttraining vielfältig zur Entwicklung der sportlichen Leistung eingesetzt wird. Dabei wird häufig die Maximalkraft trainiert, da sie von verschiedenen Autoren als Basisfähigkeit über andere Kraftfähigkeiten gestellt wird 2 . Problematisch daran ist, dass diese Art des Krafttrainings die in der Sportart angestrebte Bewegungsgeschwindigkeit nur ungenügend berücksichtigt. Der größte Übertrag vom Kraftraum auf den Wettkampf wird jedoch erreicht, wenn sowohl Last als auch Geschwindigkeit im Krafttraining berücksichtigt werden 3. Das ist die Grundidee des angloamerikanischen Begriffs „power“. Im deutschen Sprachgebrauch wird „(muscular) power“ am häufigsten mit der Fähigkeit „Schnellkraft“ übersetzt, kann aber auch im Zusammenhang mit muskulärer Leistung auftauchen. Was versteht man aber nun unter muskulärer Leistung? Es muss geklärt werden, inwieweit unterschiedliche Kraftfähigkeiten sowie der Begriff „power“ mit der muskulären Leistung (muscular performance) zusammenhängen.


Antwort

Die wettkampfspezifische muskuläre Leistung (Zielgröße des Trainings) befindet sich in einem bestimmten Bereich der Leistungskurve und muss sportartspezifisch ermittelt werden. Die maximale muskuläre Leistung wird im mittleren Bereich der Kraft-Geschwindigkeit-Beziehung erreicht. Die Bestimmung der FvR erfolgt im Sinne einer Kennliniendiagnostik bei wettkampfanalogen Bewegungen als auch bei Trainingsübungen durch Variation der Zusatzlasten oder durch Variation der Geschwindigkeiten2.


Abb. 1: Zuordnung von Sportarten auf dem Fähigkeitskontinuum (mod. nach 1; Piktogramme: ©DOSB/Sportdeutschland)

Für leistungssportliche Aktivitäten ist eines der wichtigsten Merkmale des Skelettmuskels, Kräfte bei sportartspezifischen Bewegungsgeschwindigkeiten zu generieren. Das spiegelt sich im Begriff „power“ (Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit bzw. Geschwindigkeitsänderung) wider. Dies entspricht dem deutschen (vorwiegend physikalisch bzw. biomechanisch) gebräuchlichen Begriff der mechanischen Leistung. Die dazugehörige konditionelle Fähigkeit bezeichnen wir als muskuläre Leistung (muscular performance). Sie ist Ergebnis einer jeden Kraftwirkung, die sich in einer Bewegung äußert und kann daher einen schnelligkeitsorientierten, kraftorientierten oder ausdauerorientierten Charakter haben. Somit finden sich die traditionellen Kraftfähigkeiten (Maximalkraft, Kraftausdauer, Schnellkraft) im Konstrukt der muskulären Leistung wider, genau wie weniger gebräuchliche Fähigkeiten (z. B. Schnellkraftausdauer). Mit der muskulären Leistung ist die Grundidee verbunden, eine sportliche Bewegung auf einem Spektrum zwischen Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer einzuordnen, ohne dass aus unserer Sicht die klare Abgrenzung von „Mischfähigkeiten“ (z. B. Kraftausdauer) möglich ist oder notwendig wäre. Vielmehr bestehen sportartspezifische Anforderungen im Hinblick auf die konditionellen Fähigkeiten (Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer), die im Zuge einer Anforderungsanalyse diagnostiziert werden und Ausgangspunkt für die jeweilige Trainingsmethodik darstellen sollten.


Die muskuläre Leistung ist ein Konstrukt und Teil jeder sportlichen Bewegung. Sie kann über die extern abgegebene mechanische Leistung operationalisiert werden und ist das Ergebnis des Zusammenspiels aller beteiligten Organ- und Funktionssysteme. Physikalisch ist sie das Produkt aus Kraft [N] und Geschwindigkeit [m/s] in Abhängigkeit von der Anzahl der Bewegungszyklen [n] bzw. der Bewegungsdauer [s].


Muskuläre Leistung – operationalisiert am Beispiel der Kraft-Geschwindigkeit-Beziehung

Seit der Arbeit von Hill im Jahre 1938 ist bekannt, dass sich die Verkürzungsgeschwindigkeit eines Muskels verringert, wenn er gegen eine steigende Zusatzlast kontrahiert. Dieses Phänomen ist als Kraft-Geschwindigkeit-Beziehung (FvR) bekannt. Demnach können hohe Kräfte nur mit geringen Bewegungsgeschwindigkeiten und hohe Bewegungsgeschwindigkeiten nur mit geringen Kraftwirkungen einhergehen. In der Praxis stellt sich diese Relation bei mehrgelenkigen Bewegungen als linearer Zusammenhang dar (Abb. 2).


Abb. 2: Kraft-Geschwindigkeit-Beziehung für die Trainingsübung Zug breit im Gewichtheben (Pmax = maximale Leistung, PWK = Leistung unter Wettkampfbedingungen, vgrenz = Grenzgeschwindigkeit für gültigen Versuch

Handlungsempfehlungen

Bestimme für deine Athleten die muskuläre Leistung unter Wettkampfbedingungen (Anforderungsanalyse).

Erstelle für die jeweiligen Hauptmuskelgruppen (Auswahl der Testübungen) die entsprechenden Kraft-Geschwindigkeit-Beziehungen und bedenke, dass in zyklischen Sportarten der Aspekt der Wiederholbarkeit eine Rolle spielt.

Bestimme anhand deiner Testergebnisse ein Stärken-Schwächen-Profil und leite deine Trainingsschwerpunkte daraus ab.

Literatur
  1. Bompa, T. O. & Buzzichelli, C. A., (2019). Periodization. Theory and Methodology of Training. Champaign: Human Kinetics.
  2. Güllich, A. & Schmidtbleicher, D. (1999). Struktur der Kraftfähigkeiten und ihrer Trainingsmethoden. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 50 (7/8), 223-234.
  3. Hill, A. V. (1938). The heat of shortening and the dynamic constants of muscle. Proceedings of the Royal Society of London B: Biological Sciences, 126 (834), 136-195.
  4. Kawamori, N. & Newton, R. U. (2006). Velocity specificity of resistance training: Actual movement velocity versus intention to move explosively. Strength & Conditioning Journal, 28 (2), 86-91.
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