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Plyometrie im Nachwuchstraining? Schneller werden durch reaktive Sprünge!

Autor: Uwe Wenzel
Stand: 2017
Hintergrund

Nach dem Bekanntwerden der Erfolge und Arbeiten von Yuri Verchoshansky in den 50er bis 70er Jahren, wurde plyometrisches Training oft nur für den Anschluss- und Elitebereich angesehen. Plyometrie galt lange als unangebracht und zu gefährlich für Kinder, da es mitunter zu Knochen-, Gelenk- und Bandverletzungen gekommen war. Rückblickend betrachtet sind diese Risiken durch unerfahrene Trainer und eine „je mehr desto besser-Mentalität“ entstanden. Plyometrisches Training in der vierten Generation hat sich durch unzählige Trainererfahrungen und Forschungsprojekte erheblich weiterentwickelt und sollte - richtig eingesetzt - sowohl für Kinder, Jugendliche und Erwachsene einen festen Platz in der Trainingsplanung haben. Dabei sollten insbesondere die „bewegungshungrigen Jahre“ von Kindern dazu genutzt werden, um grundlegende springerische Fähigkeiten im Sinne von Koordination (Sprunggefühl, Sprunggewandtheit) und azyklisch-reaktiver Schnelligkeit zu entwickeln.


Antwort

Abb. 1: Kategorisierung von beidbeinigen Sprüngen

Wer hat es nicht getan? „Himmel und Hölle“ auf dem Schulhof, Seilspringen im Garten und „Froschsprünge“ auf dem Spielplatz! Springen gehört zum natürlichen Bewegungsdrang unserer Kinder und ist nichts anderes als Plyometrie. Wissenschaftlich gesprochen sind es alle Übungen bei denen der konzentrischen Muskelaktivität eine exzentrische vorgeschaltet ist und ein Maximum an Kraft in kürzester Zeit erbracht werden muss. Die Vorteile plyometrische Übungen systematisch in den Trainingsprozess zu integrieren reichen von erhöhter Knochendichte und Widerstandsfähigkeit gegen Verletzungen bis hin zu verbessertem Gleichgewicht, erhöhter Kraft, Schnellkraft, Schnelligkeit und Agility. In vielen Studien konnte plyometrisches Training über mindestens 6 Wochen erfolgreich zur Verbesserung der Sprintschnelligkeit, Sprungleistung und Agility in verschiedenen Sportarten eingesetzt werden. Die Herausforderung für den Trainer besteht darin, die unzähligen Übungen und Variationen systematisch und gewinnbringend einzusetzen, ohne dass Überlastungen und Verletzungen provoziert werden. Zu bedenken ist, dass bei Kindern zum Beispiel der passive Bewegungsapparat (Knochen, Sehnen, Bänder) viel weicher als der von Erwachsenen ist und auch die hemmenden neuromuskulären Mechanismen zum Schutz der Muskel-Sehnen-Einheit stärker ausgeprägt sind. Es ist aber auch genau die Zeit in der sich das Nervensystem und neuromuskuläre System rasant entwickeln und grundlegende Bewegungsmuster gefestigt werden. So kann ein prellendes Springen mit Verkürzung der Stützzeiten wohl am ehesten bis zum 12 Lebensjahr erlernt und entwickelt werden. Während und nach der Pubertät kann vor allem die Abfluggeschwindigkeit – also der in der Stützzeit zu realisierende Kraftstoß (Sprungleistung) trainiert werden. Hier hat der für die Kinderleichtathletik bekannte Ausspruch „Springen lernen ist wichtiger als Sprünge lernen“ seinen Ursprung. In der Pubertät und der Phase der „adolescent awkwardness“ kann es aufgrund von ungünstigeren Last-Kraft-Verhältnissen und hohen Wachstumsraten zu technischen Rückschritten oder unkoordinierten Bewegungen kommen. In dieser Zeit kann es sinnvoll sein Plyometrie zu reduzieren und an die individuellen Voraussetzungen der Athleten anzupassen. Dies sichert die Verträglichkeit der steigenden Belastung in den kommenden Jahren und gewährleistet schnelle Stütze und Sprünge mit maximalen Kraftstößen im Hochleistungsbereich. Wie aber nähert sich der Trainer dieser komplexen Problematik? Unabhängig vom kalendarischen Alter sollten vor dem Beginn eines plyometrischen Trainings in einer 8-wöchigen Gewöhnungsphase allgemein kräftigende und technische Aspekte des Springens vorbereitet und geprüft werden. Hierunter zählen gelenk- und rumpfstabilisierende Übungen, Gleichgewichtstraining und koordinativ-technische Aspekte des Springens wie z.B. eine optimale Hüft- und Oberkörperposition oder eine korrekte Landemechanik. Außerdem sollte plyometrisches Training durch ein Sehnenadaptationstraining vorbereitet und stetig ergänzt werden. Ist ein sicherer Einsatz plyometrischer Übungen gegeben, sollte man sich in einem Langzeitplan über die üblichen Steuergrößen Intensität, Umfang, Häufigkeit und Erholung Gedanken machen. Grundsätzlich gilt: Qualität geht vor Quantität! Hohe Intensitäten sollten sparsam eingesetzt und mit Pausen versehen werden, die eine fast vollständige Erholung sicherstellen. Darüber hinaus sollte das Training mit einer sorgfältigen Übungsauswahl geplant werden, die neben der Spezifität – also der Nähe zum Wettkampf bzw. zur Sportart – auch die Reihenfolge im Mikro, Meso- und Makrozyklus berücksichtigt. Aus der sportartbedingten Übungsauswahl kann man sich im Sinne einer progressiven aber individuellen Belastungssteuerung eine sinnvolle Kategorisierung überlegen. Ein gewinnbringender Ansatz könnte die Einteilung nach der Beinigkeit (einbeinig, beidbeinig, Mischformen) und der vordergründigen Muskelarbeitsweise (konzentrisch, exzentrisch im langen Dehnungsverkürzungszyklus (DVZ) oder kurzen DVZ in Verbindung mit einer Belastungsabschätzung sein (siehe Beispiel beidbeinige Sprünge).


Grundsätzlich gilt: beidbeinige Sprünge sind einfacher als einbeinige und je höher die Fallhöhe, das Körpergewicht und die Eingangsgeschwindigkeit in Bewegungs- und Querrichtung und je härter der Untergrund desto belastender ist ein Sprung. So werden Tiefsprünge oftmals pauschal als unangebracht und sehr belastend eingeordnet. Allerdings gilt unabhängig vom Alter: So hoch wie man springt kann man auch fallen! Insbesondere unter dem Aspekt der Schnelligkeitsentwicklung und Stützzeitverkürzung sind Fußgelenkssprünge und einfache „Dropjumps“ im kurzen Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (Stützzeit ca. < 200 ms) aber auch mit einer gewissen Spezifität (z.B. Anforderungen agility) unerlässlich.

Hierbei sollte das Augenmerk auf festen (hohe Stiffness) Fuß-, Knie- und Hüftgelenken liegen. Demgegenüber kann man Sprünge mit nachgebenden Knien - also im langen DVZ (z.b. Countermovement Jumps) – eher nutzen um die Schnellkraft- und Kraftkomponente zu akzentuieren. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass Kinder vor der Pubertät besser auf Programme reagieren, die die Schnelligkeit und Schnellkraft auf der Basis neuronaler Mechanismen ansprechen, als auf der muskulären Grundlage und dem Kraftpotenzial. Das ist auch der Grund, warum man plyometrisches Training in der Zeit vor der Pubertät eher vielseitig einsetzt, während der Pubertät verstärkt mit Krafttraining ergänzt und nach der Pubertät kombinierte Trainingsprogramme nutzen sollte. Trotz dieser Schwerpunktverschiebung besteht ein sinnvolles plyometrisches Training über die gesamte Spanne von allgemeinen und sportspezifischen Sprünge stets aus „langsamen“ eher kraftaufbauenden Übungen (z.B. „Jump and freeze“) und „sehr schnellen“ reaktiven Übungen (z.B. „Drop Jumps“). Die Idee dahinter ist, dass schnelle und explosive Bewegungen zunächst in kontrollierter Geschwindigkeit geübt werden können. Dabei sollten vor allem Sprünge unter Schnelligkeitsorientierung (Stützzeitverkürzung, Erhöhung der Abfluggeschwindigkeit) immer in einem ausgeruhten Zustand und ohne ansteigende Ermüdung ausgeführt werden. Darüber hinaus sind Methoden (Schockmethode, Kontrastmethode) und Strategien (erleichterte Bedingungen, Feedback) des Schnelligkeitstrainings bewusst in das Sprungtraining zu integrieren. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass Sprünge unter Gewichtsentlastung (erleichterte Bedingungen) sowohl die Stützzeit positiv beeinflussen, als auch die Abfluggeschwindigkeit bzw. Sprunghöhe verbessern können. Sinkt die Qualität der Bewegung oder werden Sprünge nicht mehr in den perspektivischen Zielgrößen (z.B. Stützzeit) absolviert, ist das Sprungtraining zu beenden.


Abb. 2: Effekte des plyometrischen Trainings in den Entwicklungsphasen im Kindes- und Jugendalter

Handlungsempfehlungen

Beginne jedes plyometrische Training mit einer Gewöhnungsphase zur Entwicklung der allgemeinkräftigenden und technischen Grundlagen des Springens.

Stelle die Qualität der Übung stets über die Quantität! Beende das Training, sobald Du einen Abfall der Bewegungsqualität wahrnimmst oder die Sprünge aufgrund von Ermüdung nicht mehr in den perspektivischen Zielgrößen absolviert werden können.

Kategorisiere Deine Trainingsübungen um Belastungen besser einschätzen und überwachen zu können.

Plane Dein Training mit einer Übungsauswahl, die neben der Spezifität auch deren Reihenfolge in einer Trainingseinheit berücksichtigt sowie einen progressiven Einsatz im langfristigen Leistungsaufbau.

Steuere Dein plyometrisches Training anhand von Intensität, Umfang, Häufigkeit und Erholung. Gehe vor allem mit hohen Intensitäten sparsam um und gewähre Deinen Athleten Pausen, so dass sie sich fast vollständig erholen können.

Nutze plyometrisches Training zur Schnelligkeitsentwicklung. Wähle die Übungen und Übungsschwerpunkte so, dass vor der Pubertät vor allem vielseitige prellende Sprünge zur Entwicklung der Sprunggewandtheit, des Sprunggefühls und der Stiffness (neuronale Ansteuerungsmechanismen) im Vordergrund stehen und nach der Pubertät eher die Sprungkraft (tendo-muskuläre Anpassungen) unter Beibehaltung der schnellen Bewegungsmuster angesprochen werden.

Erleichterte Bedingungen, verstärktes Feedback oder der bewusste Einsatz der Kontrast- und Schockmethode können Deinem Sprungtraining eine zusätzliche Schnelligkeitsorientierung geben

Literatur
  1. Büsch, D., Marschall, F., Arampatzis, A., Granacher, U. (2016). Reaktivkrafttraining im Nachwuchsleistungssport. Trainingspraktische Empfehlungen für den langfristigen Leistungsaufbau im Handball. Leistungssport, 46(6), 23-26.
  2. Chu, D.A., Faigenbaum, A.D. & Falkel, J.E. (2006). Progressive Plyometrics for Kids. Monterey: Healthy Learning.
  3. Lloyd S., Oliver J.L. (2014). Strength and conditioning for young athletes. Science and application. Oxon: Routledge.
  4. Rumpf, M., Cronin, J.B., Pinder, S.D., Oliver, J. & Hughes, M. (2012). Effect of different training methods on running sprint times in male youth. Pedatr. Exerc. Science, 24(2), 170-186.
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