Neues Wettbewerbssystem im Kinderfußball − wie funktioniert es und was können Trainer*innen und Verbände lernen?
Stand: 2022
Wettbewerbe im Sport dienen dazu, sich zu messen. Es geht um Sieg und Niederlage. Das Ergebnis des Spiels ist das Ziel, auf welches kontinuierlich hingearbeitet wird.
So war es bisher auch im Kinderfußball der U6-U9. Die Spiele wurden 7 gegen 7 über 2 x 20 Minuten gespielt. Das Ziel insbesondere der Trainer*innen und Eltern war, die eigene Mannschaft siegen zu sehen. Dieses Spielformat hat zur Folge, dass meist nur zwei oder drei Kinder auf dem Feld tatsächlich am Spiel beteiligt sind und die übrigen Kinder auf dem Spielfeld stehen oder von draußen zuschauen müssen. Weiterhin dürfen vorwiegend Kinder spielen, die den Sieg sichern können. Kinder, die (noch) nicht so leistungsstark oder körperlich noch weniger weit entwickelt sind, bekommen dementsprechend nur wenig oder keine Spielzeit.
Ebenso werden bei dieser Form des Wettbewerbs die Entscheidungen der Kinder auf dem Feld durch die Trainer*innen und Eltern als richtig oder falsch bewertet, da sie dem Sieg dienlich sein müssen. An dieser Stelle geht oft verloren, dass in der Altersklasse U6-U9 Spaß und Spielfreude der Kinder im Mittelpunkt stehen sollten. Dabei ist wesentlich zu berücksichtigen, dass das unbedingte Gewinnen wollen für die meisten Kinder nicht zu verstehen ist, da das kognitive Verständnis noch nicht so weit entwickelt ist. Vielmehr steht für Kinder das Erlebnis, z. B. ein Tor zu schießen, im Vordergrund. Kinder handeln oft „ich-bezogen“, sodass ein Tor zu schießen auch den größeren Erfolg darstellt, als ein Spiel oder gar ein Turnier zu gewinnen.
Der Entwicklungsstand der Kinder in Verbindung mit dem ständigen Lernen der Kinder sollte im Mittelpunkt von Training, Coaching und Wettbewerb stehen.
Doch wie können Trainer*innen ein vorgegebenes Wettkampfsystem für sich ausgestalten und ihre Ziele im Wettkampfsystem umsetzen?
Mögliche Ziele im Kinder- und Jugendfußball
Besonders im Nachwuchsleistungssport sollte es also nicht um den Sieg am Wochenende gehen, sondern darum, langfristige Ziele zu erreichen. Damit steht nicht mehr der Erfolg im Wettbewerb im Mittelpunkt, sondern das Training, Lernen und Interagieren der Kinder. Jeder Trainer und jede Trainerin kann Ziele für die eigene Mannschaft definieren. Sie sollten aber dem Entwicklungsstand der Spieler*innen angepasst sein und im Lauf der Saison angepasst werden.
Neben dieser individuellen Ebene der Trainer*in können auch Vereine Ziele definieren, z. B. dass Spieler*innen aus dem Kader eine Mindestspielzeit erhalten, unabhängig vom Ergebnis auf dem Feld und dem Leistungsvermögen des einzelnen Spielers oder der einzelnen Spielerin. Ebenso können Verbände durch die Ausgestaltung von Wettbewerben die angestrebten Ziele in der sportlichen Entwicklung von Kindern aufzeigen und umsetzen lassen.
Konkrete Ziele, insbesondere im Kinderfußball, sind die Entwicklung von Leidenschaft und Bindung an den Fußball, Spielfreude, ein Platz in einem Mannschaftsgefüge sowie die Entwicklung der Spieler*innen in technischer und taktischer Hinsicht durch viele Ballkontakte und durch positive Erfahrungen mit und ohne Ball.
In den weiteren Altersklassen können auch Teambildung und soziale Kompetenzen als zeitweise Ziele in den Mittelpunkt rücken. Alle möglichen Ziele sollten altersgerecht an den Bedürfnissen der Spieler*innen orientiert sein. Dabei ist auch der Relative-Age-Effekt zu berücksichtigen.
Neben dieser inhaltlichen Zieldefinition ist bei der Gestaltung der Wettbewerbe darauf zu achten, welche Voraussetzungen Kinder und Jugendliche mitbringen. D. h., es sollte überlegt werden, welche Distanzen und Spielzeiten Kinder oder Jugendliche körperlich bewältigen können. Ein weiteres Augenmerk sollte darauf liegen, wie Kinder Spielsituationen wahrnehmen und verarbeiten können.
Auf dem Weg zur Umsetzung der definierten Ziele sollten einige Vorüberlegungen getroffen und die Ergebnisse berücksichtigt werden:
- angepasste Anforderungen stellen (z. B. in der laufenden Saison den Lernfortschritt der Kinder immer wieder berücksichtigen; auch Spielfeldgrößen etc.),
- spielerische Vergleiche berücksichtigen (z. B. in Spiel und Training, als Mannschaft und individuell),
- Erfolg und Misserfolg ermöglichen (Jede*r kann und darf gewinnen und verlieren),
- Spaß und Spielfreude fördern.
Neue Wettbewerbsformen im Kinderfußball
Aus diesen Überlegungen heraus kann genau festgelegt werden, welche Anforderungen in welcher Altersstufe an die jungen Fußballer*innen gestellt werden können. Die Spielform für den Kinderfußball wurde und wird (final bis zur Saison 23/24 flächendeckend) von 7 vs. 7 auf neue Wettbewerbsformen angepasst. Das bedeutet für ein Spiel, dass die Spielerzahl, die Feldgröße und die Spieldauer reduziert wird und die Regeln möglichst einfach gestaltet werden.
Bei den Kleinsten (G-Junioren) bedeutet dies: 2 vs. 2 oder 3 vs. 3, in Turnierform mit bis zu sieben Durchgängen à max. 10 min (z. B. 5 x 10 min/7 x 7 min/7 x 5 min/…) auf einer Feldgröße von ca. 25 x 20 m auf vier Tore, welche ca. 2 x 1 m groß sind, (Abb. 1). Gespielt wird ohne Torwart. So sind alle Kinder während der gesamten Spielzeit ins Spielgeschehen eingebunden. Alle verteidigen und greifen gemeinsam an, alle Spieler haben regelmäßig Ballkontakte und können Tore erzielen. Gleichzeitig entwickeln die Kinder durch die aktive Beteiligung am Spiel ihr Können weiter und haben dabei Erfolgserlebnisse.
Neben den konkreten Anforderungen eines Spiels sollten auch die Turniere altersgerecht gestaltet werden. Dabei sollte der Wettbewerb den vorangestellten zu bedenkenden Anforderungen gerecht werden. So ist es bei Kinderfußballturnieren so, dass der Erfolg einer Mannschaft belohnt werden soll, der Misserfolg eines Spiels aber nicht bestraft wird. Wer ein Spiel gewinnt, rückt ein Spielfeld auf, der Verlierer geht ein Feld zurück. Der Sieger von Feld eins bleibt auf dem Platz, genauso wie der Verlierer vom letzten Feld. Es geht also darum, im Vergleich mit anderen Mannschaften den Erfolg zu fördern und immer weiter aufsteigen zu wollen. Zudem treffen im Turnierverlauf immer häufiger gleich starke Mannschaften aufeinander. Es gibt keine hohen Siege oder Niederlagen, sondern knappe, spannende Spiele entstehen. Aus Trainerperspektive ist eine Leistungsbeurteilung und vor allem die Leistungsentwicklung von Spieler*innen durch viel Spielzeit jederzeit möglich.
Übergang zum Jugendfußball
Auf dem weiteren Weg eines jungen Fußballspielers oder einer jungen Fußballspielerin erweitern sich die Anforderungen stetig (Abb. 2). Die Feldgrößen und Spielerzahl erweitern sich, ebenso nimmt die Regelkomplexität zu (z. B. Abseitsregel ab D-Jugend). Die Entwicklung der Spieler*innen steht weiter im Mittelpunkt. Dabei geht es neben der weiteren taktischen und technischen Ausbildung auch um die Vermittlung der „Deutschen Tugenden 2.0“.
Doch mit zunehmendem Alter und der Aufnahme des Ligabetriebs ab der D-Jugend und den Auf- und Abstiegsregelungen rückt auch der Wettbewerb zunehmend in den Mittelpunkt. Der Gedanke, dass der Wettbewerb ausschließlich anderen Zielen dient, soll im Entwicklungsverlauf der Spieler*innen immer wieder angepasst werden.
Zusammenfassung
So lässt sich zusammenfassen, dass grundsätzlich auf der gesamten Breite von „Der Wettbewerb ist das Ziel“ bis hin zu „Der Wettbewerb dient dem Ziel“ eine Ausgestaltung des Wettbewerbssystems möglich ist. Die Ausgestaltung sollte dabei unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und des Könnens der Spieler*innen erfolgen. Dabei kann jeder Trainer und jede Trainerin im Rahmen von Spielen und Turnieren eigene Ziele umsetzen. Weiterhin kann jeder Verein in seiner Philosophie bestimmte Ziele verfolgen, welche transparent für Trainer*innen und Eltern dargelegt und verbindlich umgesetzt werden. Ebenso ist der Verband im gewissen Rahmen frei in der Wettbewerbsgestaltung und sollte sich bei der Umsetzung von Wettbewerbsstrukturen im Nachwuchsleistungssport fragen, an welche Altersgruppe welche Anforderungen gestellt werden, welche Bedürfnisse zu erfüllen sind und wie der Wettbewerb auf diese angepasst werden kann. Gleichzeitig sollte der Wettbewerb den Gesamtzielen, wie Spitzensport oder lebenslanges Sporttreiben, gerecht werden.
Definiere als Trainer*in deine Ziele und Werte. Frage dich dabei, was dir wichtig ist. Dies können beispielsweise Einsatzzeiten für alle sein oder Spieler*innen auf neuen Positionen auszubilden.
Entwickle für dich einen Plan, wie du deine Ziele im Rahmen des bestehenden Wettbewerbssystems umsetzen kannst. Setze Schwerpunkte in Spiel und Training.
Gehe auf deinen Verein zu und erfrage die Ziele deines Vereins oder mach den Vorschlag, gemeinsam mit weiteren Trainer*innen eine Vereinsphilosophie zu erarbeiten.
Arbeite gemeinsam mit erfolgreichen Trainern, Wissenschaftlern und Jugendkoordinatoren im Verband die Ziele der Wettbewerbe in den Altersklassen aus und überprüft die bestehenden Wettbewerbe auf diese Ziele; entwickelt ggf. neue Wettbewerbsformate auf Basis von Anforderungen und Bedürfnissen der entsprechenden Altersgruppe.