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Mit Köpfchen zum Erfolg - Was gehört zur Psyche und warum berücksichtigen wir psychische Faktoren im Nachwuchsleistungssport

Autor: Lucie Nikoleizig & Amelie Heinrich
Stand: 2021
Hintergrund

Mit dem Einfluss des Köpfchens auf die Gesundheit und Leistung von Athlet*innen beschäftigt sich die Sportpsychologie. Diese spielt für Handelnde im Nachwuchsleistungssport eine wichtige Rolle, denn: Nachwuchsleistungssport bedeutet nicht nur körperliches Training, sondern auch, dass wir junge Athlet*innen auf die zukünftigen sportlichen, schulischen und persönlichen Anforderungen im Leben als Spitzensportler*innen vorbereiten.

Wie wichtig die Psyche beim Erreichen von Spitzenleistungen sein kann, beschreibt die Bahnradsportlerin Kristina Vogel im Bericht über ihre Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio:

„Die olympische Goldmedaille im Sprint habe ich nicht gewonnen, weil ich die schnellsten Beine hatte. Du gewinnst sie nur, wenn es auch im Kopf stimmt.“

Weil die Sportpsychologie nicht erst im olympischen Finale, sondern bereits im Nachwuchsleistungssport einen wichtigen Einfluss auf die Talententwicklung haben kann, erklärt dieses FAQ, welche Bereiche der Psyche für den Leistungssport relevant sind. Außerdem gibt dieses FAQ einen Einblick, warum mentale Fertigkeiten im langfristigen Leistungsaufbau für Athlet*innen und Trainer*innen eine wichtige Rolle spielen. Wie können Trainer*innen die Potenziale der Sportpsychologie in der Sichtung und Entwicklung von Talenten nutzen? Wann ist die Zusammenarbeit mit sportpsychologischen Expert*innen empfehlenswert und was meinen wir eigentlich konkret, wenn wir vom Talentpuzzleteil Psyche sprechen?  


Antwort

Abb.1: Bereiche der Psyche auf einen Blick

Zur Psyche gehören grundsätzlich alle Funktionen des menschlichen Gehirns, die beeinflussen, wie wir denken, fühlen und handeln. Die Psyche lässt sich in zwei große Bereiche gliedern: Erleben und Verhalten. Das Erleben umfasst unsere Gedankenwelt, die für Außenstehende nicht sichtbar ist. Das Verhalten hingegen beschreibt unsere Handlungen und Reaktionen, die von uns und anderen grundsätzlich beobachtet werden können. Was wir erleben, wird für andere erst durch die Übersetzung in konkrete Verhaltensweisen sichtbar. Ob sich ein*e Athlet*in beispielsweise über einen Sieg freut, erkennen wir am Strahlen in den Augen, wenn er*sie lächelt oder jubelt.

Im Bereich des Erlebens werden Prozesse von Strukturen unterschieden. Beide unterliegen dynamischen Veränderungen und münden schließlich in direkt beobachtbarem Verhalten.

Psychische Prozesse umfassen drei Bereiche:

  1. Wahrnehmung, Denken und Gedächtnisprozesse (Kognitionen): Dazu gehört beispielsweise das mentale Training zum Lenken und Aufrechterhalten von Aufmerksamkeit oder zum Üben von Bewegungsabläufen, auch während verletzungsbedingter Pausen.
  2. Gefühle und Stimmungen (Emotionen): Hier wird beispielsweise der Umgang mit Frust oder Freude, Angstgegner*innen und Druck thematisiert.
  3. Wille und Willenskraft (Motivation, Volition): Hier spielen insbesondere das Überwinden des „inneren Schweinehundes“, das richtige Setzen von attraktiven Zielen und die Leistungsbereitschaft von Athlet*innen eine Rolle.

 

Psychische Strukturen setzen sich aus zwei Bereichen zusammen:

  1. Charaktereigenschaften (Persönlichkeit): Für den Leistungssport ist besonders die Unterscheidung in veränderbare und nicht veränderbare Persönlichkeitseigenschaften (sog. states und traits) spannend: Gibt es Siegertypen oder kann man Gewinnen trainieren und wie mutig können eigentlich die größten Angsthasen in meiner Trainingsgruppe werden?
  2. Selbstbild und Identität (Selbst): Das Selbst eines*r Athlet*in beschreibt das eigene Wissen darüber, wer er*sie ist. Es beinhaltet konkret beobachtbare Eigenschaften, wie zum Beispiel Aussehen oder Alter, aber auch abstraktere Aspekte, wie beispielsweise Einstellungen, moralische Überzeugungen oder Gedanken. Wir können Athlet*innen im Bereich der Identitätsentwicklung dabei unterstützen, ein positiv realistisches Selbstbild auszubilden, indem wir beispielsweise konkretes Feedback geben und im Training Erfolgserlebnisse schaffen.  

 

Veränderungen der Psyche erfolgen durch Lern- und Entwicklungsprozesse. Trainer*innen können Lernprozesse positiv beeinflussen, indem sie die Lernbedingungen im Training so gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Athlet*innen entgegenkommen und Feedback individuell anpassen. Kinder und Jugendliche lernen Bewegungen durch Ausprobieren und Abgucken beispielsweise deutlich besser als durch Zuhören. Auch die Offenheit für Fehler fördert das Lernklima. Durch die Berücksichtigung des individuellen Entwicklungsstands, also der aktuellen Stärken und Schwächen eines*r Athlet*in, nehmen Trainer*innen einen positiven Einfluss auf die Talententwicklung und vermeiden beispielsweise Über- oder Unterforderung im Training.

Im Bereich des Verhaltens können wir allgemeine Verhaltensweisen (z. B. Mimik, Körperhaltung, Pünktlichkeit) von zwischenmenschlichen Interaktionen (z. B. Rücksichtnahme, Kooperation, Umgang mit Konflikten, Kommunikation) und sportartspezifischen Verhaltensweisen (z. B. Handstand, Pass, Sprung) unterscheiden.

Die beiden großen Komponenten der Psyche – Erleben und Verhalten – beeinflussen sich gegenseitig. Verhalten, also zum Beispiel die sportliche Leistung, kann schneller und nachhaltiger verändert werden, wenn das Erleben (z. B. Kognitionen, Emotionen oder die Motivation) aktiv berücksichtigt und gefördert wird. Zum Beispiel wird ein*e technisch, taktisch und konditionell exzellent ausgebildete*r Athlet*in seinen*ihren Weg in die Weltspitze erfolgreicher beschreiten, wenn er*sie ebenfalls lernt, sich kontinuierlich zum Training zu motivieren oder unter Druckbedingungen im Wettkampf zuverlässig seine*ihre Leistungen abzurufen. Den Umgang mit Drucksituationen können Athlet*innen auch im Training gezielt üben. In Mannschaftssportarten wird ein*e Athlet*in eher mit seiner*ihrer Persönlichkeit überzeugen, wenn er*sie nicht nur als Einzelkämpfer*in strahlt, sondern auch als Teammitglied geschickt mit den Mitspieler*innen interagiert und beispielsweise seine*ihre Emotionen zweckmäßig regulieren kann. Auch hier können Trainer*innen Situationen im Training gestalten, die den Umgang mit den eigenen Emotionen und den Mitspieler*innen schulen.

Im Rahmen des Talentpuzzleteils Psyche, betrachten wir Athlet*innen ganzheitlich und stellen neben der sportlichen Entwicklung insbesondere deren Persönlichkeitsentwicklung in den Fokus, denn: Die Pflicht von Trainer*innen und Handelnden im Nachwuchsleistungssport geht weit über das Gewinnen von Medaillen hinaus. Wir sind dafür verantwortlich, dass sich Nachwuchsathlet*innen psychisch und körperlich gesund entwickeln können und dabei eine Resilienz aufbauen, die alle Lebensbereiche umfasst. Der Begriff Resilienz beschreibt hier das Ausmaß an Widerstandsfähigkeit gegenüber Rückschlägen, angemessene Reaktionen auf Probleme und die Verfügbarkeit von Ressourcen, die zu sportlicher Leistung, zur erfolgreichen Herausforderungsbewältigung und einer ausgewogenen Lebensgestaltung beitragen.


Handlungsempfehlungen
  • Trainer*innen können zwischenmenschliche, persönlichkeitsbezogene und sportartspezifische Lernprozesse gezielt begünstigen, indem sie die psychischen Stärken und Schwächen ihrer Athlet*innen kennen und berücksichtigen. Nutze diese Potenziale und integriere psychologische Inhalte ins Training. Inspiration zur konkreten Umsetzung findest Du in den Literaturempfehlungen.
  • Das Training der Psyche gehört genau wie das Training des Körpers zum Leistungssport dazu. Transportiere diese Botschaft an Deine Athlet*innen. 
  • Die Bestandteile der Psyche sind im Verlauf der sportlichen Karriere dauerhaft relevant, aber in den verschiedenen Ausbildungsphasen unterschiedlich wichtig bzw. veränderbar. In jeder Trainingsetappe sollte eine Schwerpunktsetzung der psychischen Aspekte erfolgen, die sich am Entwicklungsstand der Athlet*innen orientiert.
  • Nutze die Kenntnis über Stärken und Schwächen von Athlet*innen im Bereich Psyche im Rahmen der Talententwicklung, nicht jedoch für Talentauswahlentscheidungen. Insbesondere im Kindes- und Jugendalter unterliegt die Psyche immensen Veränderungsprozessen, die sich von Athlet*in zu Athlet*in stark unterscheiden und keine klare Aussagekraft über den sportlichen Erfolg im Erwachsenenalter besitzen.
  • Biete Deinen Athlet*innen regelmäßig freiwillige sportpsychologische Betreuung an. Das gewährleistet eine ganzheitliche Entwicklung, die sich an den Bedürfnissen Deiner Athlet*innen ausrichtet und der Verantwortung des Leistungssports gerecht wird. Im Kontaktportal des Bundesinstituts für Sportwissenschaft findest Du zertifizierte Sportpsycholog*innen, die Dich professionell unterstützen. Auch für (Nachwuchs-)Leistungssportler*innen mit sportpsychologisch sehr gut ausgebildeten Trainer*innen, ist es ab einem Alter von ca. 15 Jahren grundsätzlich zu empfehlen, dass eine externe, professionell ausgebildete Ansprechperson in das sportpsychologische Training und die Betreuung einbezogen wird.  
Literatur
  1. Engbert, K., Droste, A., Werts, T., & Zier, E. (2011). Mentales Training im Leistungssport. Waiblingen: Neuer Sportverlag.
  2. Staufenbiel, K., Liesenfeld, M., & Lobinger, B. (2019). Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport. Göttingen: Hogrefe.
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