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Kraftvoll, schnell oder ausdauernd – wie macht der Muskel das?

Autor: Uwe Wenzel
Hintergrund

Maximalkraft, Schnellkraft oder Kraftausdauer – so bezeichnete Fähigkeiten werden in den unterschiedlichen Sportarten gezielt trainiert und verbessert. Deren Bedeutung wird dabei durch die spezifische Wettkampf- und Leistungsstruktur einer Sportart oder Disziplin bestimmt und resultiert in unterschiedlichen kontraktilen Eigenschaften der beanspruchten Muskeln. Beispielsweise beeinflusst Training mit dem Fokus entweder auf Maximalkraft oder auf Schnelligkeit die Kraft-Geschwindigkeits-Kurve jeweils auf eine charakteristische Art und Weise 1. Um die Veränderungen der kontraktilen Eigenschaften (z. B. kräftiger, schneller, ausdauernder) gezielt zu steuern, muss man verstehen, wie ein Muskel Kraft erzeugt und was man im Muskel eigentlich verändern möchte! Zum Beispiel kann ein Hypertrophietraining in gewichtsabhängigen Sportarten zwar erfolgreich, aber kontraproduktiv sein.


Antwort

In Bezug auf die Kraftfähigkeiten ist die willentlich steuerbare Skelettmuskulatur für Trainer von besonderem Interesse, da sie der eigentlichen motorischen Aktivität dient. Deshalb soll an dieser Stelle weniger das Herz-Kreislauf-System, sondern die Verbindung von Nervensystem und Muskulatur (neuromuskuläres Funktionssystem) in den Mittelpunkt gerückt werden. Eine Vielzahl an Einflussfaktoren ist an der Erzeugung von Kraft beteiligt. Vereinfacht kann man sich an folgenden vier Aspekten orientieren:


1. Anatomische Gegebenheiten:

Wie es der Name schon sagt, sind unsere Skelettmuskeln über Sehnen mit Skelettknochen verbunden, die dabei inneres Widerlager und Hebel für die Krafterzeugung darstellen. Zu beachten ist, dass aufgrund der inneren und äußeren Hebelverhältnisse die Muskeln in der Regel sehr viel größere Kräfte aufwenden, als man von außen vermuten mag. Da man mit Training relativ geringen Einfluss auf diese individuellen Hebelverhältnisse hat, kann man von einer anatomischen Eignung für gewisse Sportarten/Disziplinen sprechen. Aus den Hebelgesetzen wird deutlich, dass ein langer Hebelarm (rechtwinkliger Abstand der Kraftwirkungslinie zum Gelenkdrehpunkt) zwar Vorteile in der Generierung hoher Drehmomente bietet, sich aber negativ auf die Winkelgeschwindigkeit bei gegebener Muskelverkürzung auswirkt 2. In diesem Zusammenhang werden z. B., im Vergleich zu Normalpersonen, für Sprinter signifikant längere Zehen und kürzere Unterschenkel sowie hochsignifikant kürzere Hebelarme der Plantarflexoren im oberen Sprunggelenk beschrieben 3.


2. Histo- und biochemische Muskeleigenschaften:

ST- und FT-Fasern sind gebräuchliche Begriffe zur Einteilung der Muskelfasern. Sie spiegeln die Unterschiede der Muskelfaserstruktur aber nur bedingt wider. Auch hier ist eher von einem Spektrum an kontraktilen Eigenschaften auszugehen, welches sich von langsam und schwach, aber ausdauernd, bis hin zu explosiv, aber schnell ermüdend, erstreckt. Die folgende Tabelle macht diese Unterscheidung deutlich, wobei eine Einteilung der Myosin-Isoformen und deren Kontraktionsgeschwindigkeit (V0) genutzt wird.


Tab. 1: Klassifizierung der Muskelfasertypen4.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass erfolgreiche Athleten in Sportarten mit unterschiedlichen Kraftanforderungen auch ein unterschiedliches Muskelfaserspektrum aufweisen. Man muss davon ausgehen, dass sowohl genetische als auch aktivitätsbedingte Aspekte für die genaue Ausdifferenzierung der Muskelfasern verantwortlich sind5. So kann Ausdauertraining eine Umwandlung in der Reihenfolge IIX > IIXIIA > IIA > IIAI > I bewirken, was in unterschiedlichen Studien nachgewiesen werden konnte. Im Gegensatz dazu kann kurzzeitiges hochintensives Training oder Trainingspausen eine Umwandlung in umgekehrter Richtung ermöglichen6 . Allerdings ist die Umwandlung von langsam zu schnell als ungleich schwieriger einzuschätzen und womöglich nur unter Berücksichtigung des Trainings und der gesamten Alltagsmotorik erfolgsversprechend.

In Bezug auf schnelle, ausdauernde oder maximale Kraftwirkungen ist ein hoher Anteil an schnellen oder langsamen Muskelfasern allerdings nicht alleinige Voraussetzung – vielmehr müssen die Muskelfasern durch entsprechendes Training in die Lage versetzt werden, entsprechend zu kontrahieren. Für ausdauerorientierte muskuläre Leistungen wären das beispielsweise ermüdungsresistente Kontraktionen. Dazu kann die aerobe Kapazität u. a. durch Anpassungen in der Kapillarendichte, dem Mitochondrienvolumen und der anhaltenden Versorgung mit Energieträgern durch entsprechende Enzymaktivitäten sichergestellt werden 7. Für muskuläre Leistungen mit maximalen Kontraktionen ist hingegen die Zunahme an kontraktilen Elementen – also der Myofibrillen – das Ziel.


3. Biomechanische Muskeleigenschaften:

Sarkomere stellen die eigentlichen kontraktilen Funktionselemente des Muskels dar. Dabei spielt ihre Anordnung innerhalb des Muskels eine wesentliche Rolle für dessen kontraktile Eigenschaften. Mitunter werden Muskeln mit parallelfaseriger Struktur als „Schnelligkeitsmuskeln“ und mit gefiederter Struktur als „Kraftmuskeln“ bezeichnet. Hierzu kann man sich merken: Je größer der Fiederungswinkel, der Muskelquerschnitt und je höher der Anteil an IIX-Fasern, desto „stärker“ ist ein Muskel. Demgegenüber gilt: Je kleiner der Fiederungswinkel, je länger die Muskelfaser und je höher der Anteil an IIXFasern, desto „schneller“ ist ein Muskel. So stehen bspw. hohe Sprintleistungen mit kleineren Fiederungswinkeln im Zusammenhang 8. Außerdem werden für Sprinter signifikant längere Faszikel beschrieben als für NichtSprinter 3. Interessanterweise können diese Parameter durch Training beeinflusst werden. So kann exzentrisches Krafttraining zu einer Anhäufung in Serie geschalteter Sarkomere führen und den Muskel dadurch „schneller“ machen 9. Entsprechendes Krafttraining kann aber auch den Fiederungswinkel und Querschnitt vergrößern, womit der Muskel primär kräftiger wird 10. Die für die Krafterzeugung optimale Sarkomerlänge wird außerdem durch Gelenkwinkel und Vordehnung der Muskulatur beeinflusst. Hier ist auch die Verbindung zur sportlichen Technik bzw. zum Techniktraining zu sehen.


4. Nervale Impulsmuster:

Alle Willkürbewegungen finden ihren Ursprung im Gehirn. Hier werden im Zusammenspiel unterschiedlicher Hirnareale Aktionspotenziale generiert und über den Kortikospinaltrakt sowie die Motoneurone an den Muskel geleitet. Die Art und Weise dieser Impulsmuster spielen eine wesentliche Rolle auf die intra- und intermuskuläre Koordination und damit auf Kraftwirkungen. So gibt es Hinweise darauf, dass der „langsamere“ M. soleus bei immer schneller werdenden Fußstreckbewegungen zunehmend weniger aktiviert und vor allem das Zusammenspiel von M. gastrocnemius und M. tibialis anterior optimiert wird 11. Natürlich müssen diese komplexen Anforderungen, wie und in welcher Reihenfolge Muskelfasern bzw. Muskeln aktiviert werden, erlernt und spezifisch trainiert werden. Es wird deutlich, dass das neuromuskuläre Funktionssystem sich nicht für Begriffe oder Kategorien wie Schnellkraft, Maximalkraft oder Kraftausdauer interessiert. Vielmehr sind gemessene kontraktile Eigenschaften eines Muskels durch spezifische strukturelle und funktionelle Merkmale bedingt und auf einem Kontinuum zwischen Maximalkraft, Schnelligkeit und Ausdauer einzuordnen. Die aufwendigen und eingeschränkten Möglichkeiten zu deren Messung und der Umstand, dass das strukturelle und funktionelle Zusammenspiel noch nicht bis ins Detail erforscht und erklärt werden kann, führt u. a. zur behelfsmäßigen Kategorisierung in Fähigkeiten. Diese ist jedoch trotz der zugrunde liegenden vereinfachten Betrachtungsweise für den Trainingsalltag außerordentlich gewinnbringend, da sie eine entsprechende Akzentuierung von Trainingsschwerpunkten erlaubt – ohne die genauen strukturellen und funktionellen Anpassungen zu kennen.


Handlungsempfehlungen

Ordne deine Sportart oder Disziplin auf einem Spektrum zwischen den Anforderungen Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer ein.

Schätze ab, welche strukturellen und funktionellen Anpassungen du durch Training erreichen möchtest und welche Trainingsmittel und -methoden dafür infrage kommen.

Beurteile die einzelnen Fähigkeiten deiner Athleten auf der Basis von Struktur und Funktion des neuromusklären Systems und entscheide, welche Trainingsschwerpunkte angebracht sind.

Literatur
  1. Ando, R., Nosaka, K., Tomita, A., Watanabe, K., Blazevich, A. J. & Akima, H. (2018). Vastus intermedius vs vastus lateralis fascicle behaviors during maximal concentric and eccentric contractions. Scand J Med Sci Sports, 28 (3), 1018-1026
  2. Carpentier, A., Duchateau, J. & Hainaut, K. (1996). Velocity-dependent muscle strategy during plantarflexion in humans. Journal of Electromyography and Kinesiology, 6 (4), 225-233.
  3. Kawamori, N. & Haff, G. G. (2004). The optimal training load for the development of muscular power. The Journal of Strength & Conditioning Research, 18 (3); 675-684.
  4. Lee, S. S. M. & Piazza, S. J. (2009). Built for speed: musculoskeletal structure and sprinting ability. The Journal of Experimental Biology, 211 (22), 3700-3707.
  5. MacIntosh, B. R. & Holash, R. J. (2000). Power output and force-velocity properties of muscle. In B. Nigg, B. R. MacIntosh & J. Mester (Eds.), Biomechanics and biology of movement (pp. 193-210). Champaign: Human Kinetics.
  6. Shave, R. & Franco, A. (2006). The physiology of endurance training. In G. Whyte (Ed.), The physiology of training (pp. 61-84). Philadelphia: Elsevier.
  7. Simoneau, J. A. & Bouchard C. (1995). Genetic determinism of fiber type proportion in human skeletal muscle. FASEB Journal, 9 (11), 1091-1095.
  8. Wenzel, U. (2013). Zu ausgewählten Einflussfaktoren der willkürlich initiierbaren Schnelligkeit – eine elektrophysiologische und neurostrukturelle Untersuchung. Dissertation, Universität Leipzig.
  9. Aagaard, P., Andersen, J. L., Dyhre-Poulsen, P., Leffers, A. M., Wagner, A., Magnusson, S. P., Halkjaer-Kristensen, J. & Simonsen, E. B. (2001). A mechanism for increased contractile strength of human pennate muscle in response to strength training: changes in muscle architecture. The Journal of Physiology, 534 (2), 613-623.
  10. Abe, T., Kumagai, K. & Brechue, W. F. (2000). Fascicle length of leg muscles is greater in sprinters than distance runners. Med Sci Sports Exerc, 32 (6), 1125-1129.
  11. Andersen, J. L.& Aagaard, P. (2010). Effects of strength training on muscle fiber types and size; consequences for athletes training for high-intensity sport. Scand J Med Sci Sports, 20 (S 2), 32-38.
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