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Das muss alles erstmal koordiniert werden!

Was versteht man unter Koordination und was sind koordinative Fähigkeiten?

Autor: Oliver Seidel-Marzi
Stand: 2021
Hintergrund

Der Begriff Koordination beinhaltet in seiner allgemeinen Bedeutung das Abstimmen verschiedener Aktivitäten aufeinander bzw. die Verbesserung des Zusammenspiels, des Zusammenwirkens. Koordinieren lassen sich also die verschiedensten Dinge – sowohl Termine und Aufgaben als auch Menschen und Vorgänge. Und auch im Sport spielt die Koordination eine wesentliche Rolle: Teilbewegungen im Allgemeinen sowie Gelenke und Muskeln im Speziellen müssen koordiniert werden, um Bewegungen zielgerichtet und schnell ausführen zu können. Funktioniert die Koordination aber (noch) nicht wie gewünscht, z. B. beim Erlernen von Bewegungen und Techniken, fühlen wir uns schnell wie ein „Tollpatsch“.

Die Bedeutung der Koordination im Sport geht jedoch weit über das Erlernen von Bewegungen hinaus. Koordination im Allgemeinen gilt als eine grundlegende Voraussetzung für die Ausführung einer koordinierten Bewegung. Koordinative Fähigkeiten sind also vielmehr Potentiale und dementsprechend noch keine Leistung oder Fertigkeit. Neben den konditionellen Fähigkeiten (siehe FAQ Kondition) sind sie ein wesentlicher Bestandteil der grundlegenden Bewegungs- und Leistungsvoraussetzungen. Koordinative und konditionelle Fähigkeiten stehen sowohl im Training als auch im Wettkampf in einer ständigen Wechselwirkung zueinander, d. h. koordinative Fähigkeiten sind bspw. indirekt an der Ausbildung der konditionellen Fähigkeiten beteiligt. Darüber hinaus spielen sie eine wesentliche Rolle beim Erlernen und Umsetzen von sportspezifischen Techniken.

Doch was genau bedeutet Koordination bezogen auf den menschlichen Körper und welche (koordinativen) Fähigkeiten sind damit verbunden?


Antwort

In Bezug auf den menschlichen Körper ist unter Koordination das wirksame Zusammenspiel des zentralen Nervensystems (bestehend aus Gehirn und Rückenmark) und der Skelettmuskulatur zu verstehen. Eine entscheidende Bedeutung hat dabei die Aufnahme von visuellen, auditiven und taktilen Informationen über Rezeptoren (Sinnesorgane) sowie Bewegungsempfindungen in Muskeln, Sehnen und Gelenken über Propriozeptoren. Über das zentrale Nervensystem werden die aufgenommenen Sinnesinformationen weitergeleitet, verarbeitet und interpretiert, um somit eine Bewegung zielgerichtet und effektiv (sprich: koordiniert) ausführen zu können.

Koordinative Fähigkeiten bezeichnen dementsprechend den Ausprägungsgrad der Systeme der Informationsaufnahme und –verarbeitung und somit der zentralnervalen Bewegungssteuerung. Aus trainingswissenschaftlicher Sicht sind die koordinativen Fähigkeiten ein Teil der motorischen Fähigkeiten, die in allen Sportarten die Grundlage bilden und sowohl sportartspezifisch als auch sportartübergreifend trainiert werden können. Sie sind dafür verantwortlich, dass Bewegungsabläufe aufeinander abgestimmt sind und die entsprechenden Muskeln zur richtigen Zeit arbeiten.

Die koordinativen Fähigkeiten lassen sich nach verschiedenen Ansätzen systematisch differenzieren und in weitere einzelne Fähigkeiten untergliedern sowie nach äußeren Bedingungen aufteilen. Dazu gibt es sowohl in der nationalen, als auch in der internationalen sportwissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Ansätze zur Systematisierung, wobei sich u. a. in der deutschen Sportpraxis die Aufteilung der koordinativen Fähigkeiten in die sieben grundlegenden Fähigkeiten nach Blume (1978) durchgesetzt hat. Konkret sind dies die Differenzierungs- (kinästhetisch), Orientierungs-, Reaktions-, Kopplungs-, Rhythmisierungs-, Umstellungs- und Gleichgewichtsfähigkeit, welche in der Trainerausbildung oft mit der Eselsbrücke DORFKRUG verbunden werden.

 

Tabelle 1: Beschreibung der koordinativen Fähigkeiten nach Blume (1978) bzw. Hirtz (1985) (ohne*)

Koordinative Fähigkeit

Beschreibung

Beispiel

Differenzierungsfähigkeit (kinästhetisch)

… dient einer hohen und genauen Feinabstimmung einzelner Bewegungsphasen und Teilkörperbewegungen

Dribbeln eines Basketballs

Orientierungsfähigkeit (räumlich)

… dient der Bestimmung und zieladäquaten Veränderung der Lage und Bewegung des Körpers in Raum und Zeit, bezogen auf ein definiertes Aktionsfeld (z.B. Spielfeld, Boxring) und/oder ein sich bewegendes Objekt (z.B. Gegner, Spielgerät)

Einleiten einer Rollwende im Schwimmen

Reaktionsfähigkeit

… dient der schnellen Einleitung und Ausführung von motorischen Aktionen auf Signale

Reaktion auf einen Startschuss

Kopplungsfähigkeit*

… dient der Abstimmung von Teilkörperbewegungen untereinander und in Beziehung auf die Gesamtkörperbewegung räumlich, zeitlich und dynamisch zueinander

Abstimmung von Oberkörper- und Unterkörpermuskulatur beim Kugelstoßen

Rhythmisierungs-/ Rhythmusfähigkeit

… dient der Erfassung und Reproduktion eines von außen vorgegeben oder im Bewegungsablauf enthaltenen Rhythmus

Laufrhythmus beim Hürdenlauf

Umstellungsfähigkeit*

… dient der motorischen Umsetzung oder dem situationsadäquaten Ersetzen bzw. der Anpassung des Handlungsprogramms auf Basis einer während des Handlungsvollzugs wahrgenommenen oder vorauszusehenden Situationsveränderung (z.B. durch Mitspieler, Gegner, Spielgeräte, äußere Einflüsse)

Anpassen an wechselnde Schneeverhältnisse beim Skilanglauf

Gleichgewichtsfähigkeit

… dient der Beibehaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtszustandes des gesamten Körpers auch während oder nach einer umfassenden Körperverlagerung

Turnen auf dem Schwebebalken


Ein weiterer Ansatz zur Systematisierung der koordinativen Fähigkeiten ist bei Neumaier & Mechling (1995) zu finden, welche die Koordination nach Druckbedingungen und Informationsanforderungen im so genannten Koordinations-Anforderungs-Regler (KAR) Modell gliedern. Hierbei wird zwischen Präzisionsdruck, Zeitdruck, Komplexitätsdruck, Situations-/Variabilitätsdruck, Belastungsdruck und Organisationsdruck unterschieden. Diese werden weiterhin durch optische, akustische, taktile, kinästhetische und vestibuläre Informationsanforderungen und den damit verbundenen Analysatoren ergänzt. Hinzu kommt die Gleichgewichtsanforderung, die eine übergeordnete Stellung innehat. Demzufolge werden die koordinativen Fähigkeiten in diesem Modell nicht weiter ausdifferenziert, sondern an Druckbedingungen und Informationsanforderungen in verschiedenen Aufgabensituationen orientiert, was vor allem in situativen Sportarten von besonderer Bedeutung ist.

Auf Basis der genannten Modelle der koordinativen Fähigkeiten nach Blume (1978) und Neumaier & Mechling (1995) lassen sich Rückschlüsse auf das Training ziehen. In diesem Zusammenhang besteht der entscheidende Unterschied des KAR Modells gegenüber dem fähigkeitsorientierten Koordinationstraining in der engen Technik- und Aufgabenorientierung. Die konkreten Bewegungsaufgaben werden bei diesem Modell hinsichtlich ihrer Druckbedingungen analysiert und in Bezug auf mögliche trainingsmethodische Variationen betrachtet. Je nach Ausprägungsgrad der Anforderungen (Informationsanforderungen und Druckbedingungen, siehe oben), also je nach Gesamtkonstellation der Reglerstellung des KAR, ergibt sich ein bestimmtes koordinatives Anforderungsprofil für eine Bewegungshandlung, eine bestimmte Disziplin oder eine Sportart. Das Modell geht also nicht von allgemein zugrundeliegenden koordinativen Fähigkeiten aus. Vielmehr analysiert es die spezifischen Anforderungen koordinativer Art, welche im Sinne von Fertigkeiten erworben werden müssen.

Aus Perspektive des fähigkeitsorientierten Koordinationstrainings hingegen können die koordinativen Fähigkeiten sehr grundlegend und damit allgemein trainiert werden, beispielweise in Form verschiedener Gleichgewichtsaufgaben zur Schulung der allgemeinen Gleichgewichtsfähigkeit. Ebenso lassen sich die Fähigkeiten spezifisch trainieren, beispielsweise durch spezifische Übungen zur Schulung des dynamischen Gleichgewichts in der Sportart Skilanglauf. In diesem Zusammenhang muss jedoch auf bisher nur unzureichend geklärte Fragen hinsichtlich der Generalisierbarkeit und Transferierbarkeit der koordinativen Fähigkeiten hingewiesen werden. Konkret ist bislang nur wenig darüber bekannt, inwiefern bspw. der Lernfortschritt in einer bestimmten Gleichgewichtsübung (z. B. Slacklining) auf eine andere Gleichgewichtsübung (z. B. Stand-Up-Paddling) übertragbar ist. Unabhängig von der Aufgabenstellung an die jungen Sportler*innen ist jedoch zu beachten, dass die koordinativen Fähigkeiten immer in enger Verknüpfung mit den weiteren motorischen Fähigkeiten stehen und damit selten isoliert betrachtet und trainiert werden sollten. Bezogen auf eine umfassende und langfristige Leistungsentwicklung sind Koordination und koordinative Fähigkeiten im gesamten Verlauf des langfristigen Leistungsaufbaus (LLA) zu trainieren, in besonderem Maße aber in den ersten Ausbildungsetappen, also im Kindesalter (siehe FAQ Koordination im Grundlagentraining).


Abb.1: Koordinative Anforderungen von Bewegungsaufgaben (modifiziert nach Neumaier & Mechling, 1995)

Handlungsempfehlungen

Frage dich, welche der koordinativen Fähigkeiten wesentlich in deiner Sportart sind und welchen Einfluss sie auf die sportliche Leistung haben.

Frage dich, welche koordinativen Fähigkeiten deine Sportler*innen schon mitbringen und wie du diese mit gezielten Trainingsschwerpunkten noch weiter ausbauen kannst.

Frage dich, wie du deine Sportler*innen durch Variation immer wieder vor neue motorische Herausforderungen stellen kannst.

Literatur
  1. Blume, D. D. (1978), Zu einigen wesentlichen theoretischen Grundpositionen für die Untersuchung der koordinativen Fähigkeiten. Theorie und Praxis der Körperkultur, 27, 29-36.
  2. Neumaier, a., u. Mechling, H. (1995), Allgemeines oder sportartspezifisches Koordinationstraining. Leistungssport, 25, 14-18
  3. Neumaier, A. (2016). Koordinatives Anforderungsprofil und Koordinationstraining. Grundlagen, Analyse, Methodik (Training der Bewegungskoordination, Band 1, 5., korrigierte Aufl.). Köln: Sportverlag Strauß.
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