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Allgemein oder speziell? Warum auch Schwimmer laufen müssen.

Autor: Ronny Fudel
Stand: 2017
Hintergrund

„Eine vielseitige sportliche Ausbildung ist die Grundlage für Spitzenleistungen.“ So oder so ähnlich liest man es in nahezu allen Rahmentrainingsplänen und Nachwuchskonzeptionen. „Die motorische Leistungsfähigkeit unserer Kinder wird immer schlechter“, steht dem als weitläufige Meinung vieler Nachwuchstrainer gegenüber. Die Diskrepanz zwischen den theoretischen Vorgaben für vielseitiges Training und der tatsächlichen Umsetzung ist besonders in den Etappen der allgemeinen Grundausbildung und des Grundlagentrainings sehr groß. Sportler (und auch Eltern) eifern ihren Vorbildern nach, wollen möglichst viel in der spezifischen Sportart trainieren und schnelle Fortschritte sehen. Wettkämpfe fordern bereits frühzeitig sportartspezifische Fertigkeiten ab. Beides führt dazu, dass Trainingsinhalte vorgezogen werden und die altersgerechte Ausbildung zu kurz kommt. Laufen, Turnen oder Beweglichkeitstraining gelten als lästige Pflicht und werden stiefmütterlich behandelt. Das führt zwar zu hohen sportlichen Leistungen im Jugendbereich, aber es findet keine Weiterentwicklung im Seniorenbereich mehr statt.

Unter vielseitigem Training verstehen wir sowohl das Erlernen und Üben verschiedener Sportarten, als auch die Vielseitigkeit in der Spezialsportart, beispielsweise verschiedene Lagen und Streckenlängen im Schwimmen. Allgemeines Training beschreibt die Entwicklung von Leistungsvoraussetzungen mit Trainingsübungen, die sich in der Bewegungs- und Belastungsstruktur von der wettkampfspezifischen Bewegung unterscheiden (z.B. Lauf zur Entwicklung der Grundlagenausdauer von Schwimmern).


Antwort

Athleten, die in einer oder mehreren Sportarten vielseitig ausgebildet sind, bringen im Anschluss- und Hochleistungsbereich konstantere Leistungen, verletzen sich seltener und üben ihren Sport länger auf leistungssportlichem Niveau aus. Ein Speerwerfer wirft über 2000-mal in der Saison mit dem Wettkampfgerät. Eisschnellläufer trainieren mehr als 200 h im Jahr auf dem Eis in gebeugter Laufposition, immer in eine Richtung laufend. Um solchen Belastungen langfristig standzuhalten, wird je nach Sportart bis zum Ende des Grundlagentrainings ein Anteil an allgemeinen Trainingsinhalten von mindestens 60-80% der Gesamttrainingszeit empfohlen. Das sichert die Belastbarkeit, beugt Dysbalancen vor und stabilisiert sportartspezifische Bewegungen. Aktuelle Studien belegen, dass international erfolgreiche Spitzensportler häufiger andere Sportarten in Training und Wettkampf ausgeübt haben als weniger erfolgreiche. Ausnahmen sind technisch-kompositorische Sportarten wie Turnen, in denen das Hochleistungsalter früher erreicht wird.


Abb. 1: Verteilung von allgemeinem und speziellem Training im langfristigen Leistungsaufbau der Sportart Biathlon (Rahmentrainingsplan Biathlon, 2009).

Vielseitiges und allgemeines Training vermeidet eine frühzeitige Spezialisierung und somit das Vorwegnehmen spezifischer Trainingsreize, deren Wirkung dann in späteren Ausbildungsetappen ausgeschöpft werden kann.

Vielseitig ausgebildete Sportler lernen schneller und stellen sich besser auf neue Gegebenheiten, wie Material- oder Regeländerungen, neue Wettkampfformen, wechselnde Gegner oder äußere Bedingungen ein (z.B. Umstellung auf den V-Stil im Skispringen, Einführung des Klappschlittschuhs im Eisschnelllauf, Team- und Sprintrennen im Skilanglauf oder Triathlon).

Eine große Bewegungserfahrung ist perspektivisch für den Einsatz unterschiedlicher Trainingsmittel von Vorteil. Diese können später für allgemeines Training (Schwimmen, Sportspiele, Krafttraining) effektiver genutzt werden, weil man die technischen Fertigkeiten bereits beherrscht. In Sportarten, die zu bestimmten Jahreszeiten nur schwer spezifisch trainierbar sind (Wintersport, Radsport, etc.), ist allgemeines und semispezifisches Training ohnehin erforderlich. Für Technik- oder Defizittraining bleibt hier in späteren Ausbildungsetappen keine Zeit mehr.

Nicht alle notwendigen konditionellen und koordinativen Leistungsvoraussetzungen lassen sich mit spezifischen Trainingsübungen ausbilden (z.B. Rumpfkraft). Ein stabiles Muskelkorsett unterstützt jedoch die sporttechnische Ausbildung und führt zu einer höheren Qualität der Zieltechnik. Last but not least: Vielseitigkeit fördert Spaß und Motivation. Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang und möchten viele neue Dinge ausprobieren, was auch im Training umgesetzt werden muss. Das wirkt später Drop-Outs aufgrund von jahrelangem monotonen Training entgegen.


Handlungsempfehlungen

Veranstalte Wettkämpfe, die den geforderten Trainingsinhalten entsprechen (Athletiktests, Vielseitigkeitsläufe, Mehrkämpfe, Wettbewerbe in anderen Sportarten).

Qualifiziere die Übungsleiter und Nachwuchstrainer regelmäßig in allgemeinen und sportartübergreifenden Trainingsinhalten.

Stelle Übungs- und Trainingsbeispiele zur Verfügung (Übungsbücher, Rahmentrainingskonzeptionen, Videos/YouTube).

Organisiere sportartübergreifende Trainingseinheiten: in verwandten Sportarten wie Skisport/Snowboard, Spielsportarten, Wasserfahrsport, Rückschlagspiele, gemeinsamer Profilsport in Eliteschulen des Sports

Nutze gemeinsame Ressourcen, z.B. Kindersportgruppen mit Übungsleitern aus verschiedenen Sportarten.

Literatur
  1. Côté, J., Lidor, R., & Hackfort, D. (2009). ISSP position stand: To sample or to specialize? Seven postulates about youth sport activities that lead to continued participation and elite performance. International Journal of Sport and Exercise Psychology, 7(1), 7-17.
  2. Jayanthi, N., Pinkham, C., Dugas, L., Patrick, B., & LaBella, C. (2013). Sports specialization in young athletes: evidence-based recommendations. Sports health, 5(3), 251-257.
  3. Voigt, L., Singh, A., & Hohmann, A. (2014). Vielseitigkeit als Ausbildungsstrategie im leistungssportlichen Nachwuchstraining. Sportwissenschaft, 44(3), 134-152.
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