Relativer Energiemangel im Sport (REDs)
Stand: 08/2024
Ernährung, Körpergewicht und Körperzusammensetzung sind im Leistungssport wichtige Leistungsdeterminanten. Sportler*innen weisen aufgrund ihrer sportlichen Betätigung im Vergleich zu Nicht- Sportler*innen einen erhöhten Energiebedarf auf. Während des Saisonverlaufs verändert sich das Körpergewicht häufig von Sportler*innen. Regelmäßige Screenings und Ernährungsberatungen sind empfehlenswert, wenn sich Sportler*innen an der Grenze einer unzureichenden Nahrungszufuhr bewegen und ein schlankes Erscheinungsbild als Zeichen maximaler Leistungsfähigkeit betrachtet wird. Besonders gefährdet scheinen dabei Sportler*innen in gewichtssensitive Sportarten zu sein, in denen das Körpergewicht einen entscheidenden Einfluss auf die Wettkampfleistung hat (z.B. aus ästhetischen Gründen oder der Einteilung in Gewichtsklassen) und/oder der durchschnittliche Energieumsatz dauerhaft sehr hoch ist (z.B. in Ausdauersportarten). Eine Vernachlässigung der Energiezufuhr kann zu einer niedrigen Energieverfügbarkeit (LEA engl.: low energy availability) führen, welche sich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken und schwerwiegende Folgen für verschiedene physiologische Funktionen des Körpers haben kann. 2014 wurden wissenschaftliche Erkenntnisse und Hintergründe zum „relativen Energiemangel im Sport“ (Relative Energy Deficiency in Sport [REDs]) von der Arbeitsgruppe um Margo Mountjoy in einem IOC Konsensstatement zusammengefasst (Mountjoy et al., 2014). Das IOC Konsensstatement wurde im Jahr 2023 zum zweiten Mal aktualisiert (Mountjoy et al., 2023) und dient als Grundlage der folgenden Ausführungen.
Mountjoy, M., Ackerman, K. E., Bailey, D. M., Burke, L. M., Constantini, N., Hackney, A. C., Heikura, I. A., Melin, A., Pensgaard, A. M., Stellingwerff, T., Sundgot-Borgen, J. K., Klungland Torstveit, M., Uhrenholdt Jacobsen, A., Verhagen, E., Budgett, R., Engebretsen, L., & Erdener, U. (2023). 2023 International Olympic Committee`s (IOC) consensus statement on Relative Energy Deficiency in Sport (REDs). British Journal of Sports Medicine, 57(17), 1073-1097. https://doi.org/10.1136/bjsports-2023-106994
Zur Studie
Relativer Energiemangel im Sport (REDs) ist ein multisystemischer Syndromkomplex, ausgelöst durch eine niedrige Energieverfügbarkeit (LEA).
Betroffene Sportler*innen haben u.a. ein erhöhtes Risiko für muskuloskelettale Verletzungen, Stressfrakturen und eine verminderte sportliche Leistungsfähigkeit
Präventiv können regelmäßige Screenings, Ernährungsberatungen und Zyklustracking helfen Symptome rechtzeitig zu erkennen.
Gibt es den Verdacht einer problematischen LEA oder REDs, kann der Leitfaden des IOC, das REDs CAT2 mit der REDs-Risiko-Ampel helfen, in Zusammenarbeit mit medizinischem Personal, eine erste Einschätzung des Schweregrads vorzunehmen und die richtigen Behandlungsmaßnahmen einzuleiten.
Für die Behandlung von REDs ist ein multidisziplinäres Team nötig, um Langzeitfolgen abzuwenden und die sichere Ausübung des Sports zu gewährleisten.
Was ist die Energieverfügbarkeit?
Energieverfügbarkeit (EA) ist die Menge an Energie, die dem Körper nach Abzug der durch sportliche Betätigung verbrauchten Energie (Exercise Energy Expenditure [EEE]) von der aufgenommenen Energie durch die Ernährung (Dietary Energy Intake [EI]) zur Aufrechterhaltung der normalen Körperfunktionen übrigbleibt (Mountjoy et al., 2023). Eine Annäherung an die EA kann mithilfe der folgenden Formel berechnet werden:
EA [Energieverfügbarkeit (kcal/kg FFM/Tag)] = {EI [Energiezufuhr (kcal)] - EEE [Energieverbrauch durch sportliche Betätigung (kcal)] / FFM [fettfreie Körpermasse (kg)]
Die EA misst die tatsächlich verfügbare Energiemenge pro Kilogramm fettfreier Körpermasse (FFM) pro Tag, die nach Abzug des zusätzlichen Energiebedarfs für beispielsweise Training für die Grundfunktionen des Körpers übrigbleiben. Eine ausgeglichene Energiebilanz bedeutet im Gegensatz dazu, dass die aufgenommene Energie die Summe aller energieverbrauchenden Prozesse (Training, Alltagsaktivitäten, diätinduzierte Thermogenese und Ruheumsatz) deckt, wodurch das Körpergewicht und die Körperzusammensetzung stabil bleiben. Ein Problem entsteht jedoch, wenn energetische Bilanzen verwendet werden, ohne zu berücksichtigen, dass eine unterkalorische Ernährung den Ruheumsatz und die nahrungsinduzierte Thermogenese verringern kann. Dadurch bleibt zwar die Energiebilanz ausgeglichen, doch der Körper passt sich lediglich an den vorherrschenden Energiemangel an. Um diesem Problem entgegenzuwirken, wurde der Begriff der EA eingeführt.
In Untersuchungen der EA mit inaktiven Frauen wurde ≤ 30 kcal/kg FFM/Tag als kritischer Wert für gesundheitliche Probleme identifiziert. Aufgrund der Probandinnengruppe sollte der kritische Wert von 30 kcal/kg FFM/Tag insbesondere bei Sportlerinnen mit Vorsicht betrachtet werden. Bisherige Untersuchungen bei Männern deuten darauf hin, dass die eine solche Schwelle im Vergleich zu den Frauen niedriger ist. Jedoch ist die Evidenzlage beim männlichen Geschlecht ebenfalls gering.
Messung der Energieverfügbarkeit
In der Praxis ist eine genaue Messung der EA mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden und fehleranfällig, da sie einem hohen subjektiven Einfluss unterliegt. Die drei Komponenten - Energiezufuhr, Energieverbrauch während sportlicher Belastung und fettfreie Körpermasse - müssen dabei einzeln erfasst werden. Folgende Messmethoden können dafür unter anderem verwendet werden:
Energiezufuhr:
- Wiege- oder Schätzprotokolle
- Gedächtnisprotokolle (z. B. 24-h-Recall)
- Food Frequency Questionnaire (FFQ)
Energieumsatz:
- Wearables/Sportuhren
- Aktivitätsprotokolle/Aktivitätstracking
- Metabolische Äquivalent (MET)
Fettfreie Körpermasse:
- Calipometrie
- Bioimpendanzanalyse (BIA)
- Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA)
Niedrige Energieverfügbarkeit (LEA) und deren Auswirkungen
Die Gründe weshalb Sportler*innen in Energiedefizite geraten sind umfangreich, individuell und können bewusst, unbewusst oder pathologisch sein. Dies kann beispielsweise auftreten, wenn Sportler*innen bewusst ihre Nahrungszufuhr reduzieren, bei erhöhtem Trainingsumfang ihre Ernährung nicht anpassen, durch lange oder intensive Trainingsbelastungen einen reduzierten Appetit haben, aus Gründen im sozialen Umfeld oder aus anderen, auch außerhalb des Sports liegenden Gründen, nicht genügend essen.
Mountjoy et al. (2023) unterscheiden bei LEA zwischen einer anpassungsfähigen (engl. adaptable) LEA und einer problematischen (engl. problematic) LEA. Die anpassungsfähige LEA geht mit milden und schnell reversiblen Veränderungen auf die Körpersysteme einher und hat damit keine bis geringe Auswirkungen für die langfristige Gesundheit. Eine problematische LEA bezeichnet, stärkere und potenziell anhaltende Störungen verschiedener Körpersysteme. Ausprägungen der LEA können je nach Dauer, Ausmaß, Häufigkeit und Körpersystem individuell variieren. Nach welcher Zeit eine LEA problematisch wird, ist schwer zu beantworten. Im Konsensstatement wird „kurzfristig“ als Tage bis Wochen definiert, während „langfristige“ Zeiträume mehrere Monate umfasst.
Eine länger anhaltende oder besonders schwerwiegende Problematik im Zusammenhang mit LEA wird als REDs bezeichnet (Mountjoy et al., 2023). Um die Auswirkungen und Symptome einer LEA zu verdeutlichen, haben die Autor*innen des IOC-Konsensstatement 2023 zwei neue REDs-Konzeptmodelle zur Wissensvermittlung entwickelt. Diese sollen Sportler*innen, Trainer*innen, Sportwissenschaftler*innen und Sportmediziner*innen für REDs sensibilisieren und einen Überblick über die multifaktoriellen Auswirkungen von LEA geben. Das Gesundheitskonzeptmodell (Abb. 1) veranschaulicht das Kontinuum von LEA auf die verschiedenen Körpersystemen, die von teilweise auch positiven (bspw. erhöhte relative VO2max) oder negativen Anpassungen bei anpassungsfähiger LEA bis hin zu gesundheitlichen Folgen bei problematischer LEA betroffen sein können. Mögliche Folgen auf die sportliche Leistung der Sportler*innen werden im Leistungskonzeptmodell (Abb. 2) veranschaulicht. Eine Ausnahme in den Modellen bildet die psychische Gesundheit, da sie sowohl eine Folge von REDs als auch ursächlich für REDs sein kann. Obwohl die beiden Konzeptmodelle kategorisiert sind, sollten sie nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Störungen der Körpersysteme bedingen eine Verschlechterung der sportlichen Leistungsfähigkeit.
Identifizierung & Behandlung von LEA und REDs
Zur Beurteilung des Risikos oder des Ausmaßes eines REDs wurde 2015 ein Bewertungstool, RED-S Clinical Assessment Tool (CAT), vorgestellt (Mountjoy et al., 2015). Im Konsensstatement von 2023 wurde dieses überarbeitet und aktualisiert. Das IOC REDs CAT2 basiert auf verschiedenen Anzeichen und Symptomen für LEA und ist dreistufig aufgebaut. Die Stufen werden als allgemeine Bewertung (Fragebögen und kostengünstige Untersuchung) bis hin zu spezifischen fachärztlichen Diagnosen beschrieben. Ein Ampelsystem dient der Risiko-/Schwereklassifizierung. Für die Einordnung geben die Autor*innen potentielle REDs-Indikatoren an. Die Indikatoren sind mit „schwerer primärer Indikator“, „primärer Indikator“, „sekundärer Indikator“ und „potentieller Indikator“ gewichtet. Diese Indikatoren sind auch für Nicht-Mediziner*innen gute Ansätze, um eine erste Risikobewertung vorzunehmen. Am Beispiel der reproduktiven Gesundheit von Frauen könnte dies wie folgt aussehen: Ein „schwerer primäre Indikator“ wäre Amenorrhö (fehlende erste Menstruation im Alter von 15 Jahren oder keine Menstruation über einen Zeitraum von 12 Monaten). Als „primärer Indikator“ gilt sekundäre Amenorrhö (fehlende Menstruation über einen Zeitraum von 3 bis 11 Monaten). Oligomenorrhö wird als „sekundärer Indikator“ angesehen (Abstände von mehr als 35 Tagen zwischen den Menstruationszyklen bei maximal 8 Zyklen pro Jahr) und ein „potentieller Indikator“ sind anovulatorische Zyklen (Ausbleiben des Eisprungs). Die ausführliche Tabelle mit den Indikatoren kann der Originalarbeit von Mountjoy et al. (2023) entnommen werden. Außerdem gibt die REDs CAT-Ampel Empfehlungen für die sportliche Teilnahme je nach Ausprägung der Indikatoren bei Sportler*innen.
Wird REDs diagnostiziert, ist eine umfangreiche und multidisziplinäre Behandlung erforderlich. Neben der Behandlung der vorliegenden Funktionsstörungen einzelner Körpersysteme (siehe Abb. 1) müssen gleichzeitig die Ursachen der LEA angegangen werden. Nach den Empfehlungen von Mountjoy et al. (2023) sollte die Wiederherstellung einer optimalen EA ohne Arzneimitteleinsatz im Fokus stehen. Hierfür bedarf es einer umfangreichen und nachhaltigen Ernährungsintervention. Die Behandlung der Körperfunktionsstörungen erfordert aufgrund der möglichen vielfältigen Ausprägungen einen individuellen Therapieansatz, welcher Expert*innen verschiedener Teildisziplinen berücksichtigt. Dazu zählen Sportmediziner*innen, Ernährungsexpert*innen, Psycholog*innen, Trainer*innen und Sportwissenschaftler*innen. Ein solches multidisziplinäres Team muss in enger Zusammenarbeit die richtigen Bedarfe eruieren, um die Gesundheit als Grundlage für eine sichere Ausübung des Sports wiederherzustellen.
- Mountjoy, M., Ackerman, K. E., Bailey, D. M., Burke, L. M., Constantini, N., Hackney, A. C., Heikura, I. A., Melin, A., Pensgaard, A. M., Stellingwerff, T., Sundgot-Borgen, J. K., Klungland Torstveit, M., Uhrenholdt Jacobsen, A., Verhagen, E., Budgett, R., Engebretsen, L., & Erdener, U. (2023). 2023 International Olympic Committee`s (IOC) consensus statement on Relative Energy Deficiency in Sport (REDs). British Journal of Sports Medicine, 57(17), 1073-1097. https://doi.org/10.1136/bjsports-2023-106994
- Mountjoy, M., Sundgot-Borgen, J., Burke, L., Carter, S., Constantini, N., Lebrun, C., Meyer, N., Sherman, R., Steffen, K., Budgett, R., & Ljungqvist, A. (2014). The IOC consensus statement: beyond the Female Athlete Triad--Relative Energy Deficiency in Sport (RED-S). British Journal of Sports Medicine, 48(7), 491-497. https://doi.org/10.1136/bjsports-2014-093502
- Mountjoy, M., Sundgot-Borgen, J., Burke, L., Carter, S., Constantini, N., Lebrun, C., Meyer, N., Sherman, R., Steffen, K., Budgett, R., Ljungqvist, A., & Ackerman, K. (2015). The IOC relative energy deficiency in sport clinical assessment tool (RED-S CAT). British Journal of Sports Medicine, 49(21), 1354. https://doi.org/10.1136/bjsports-2015-094873