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Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl wissenschaftlicher Publikationen und mehr Erfolg im paralympischen Sport?

Autor: Francine Pilon & François Prince, geschrieben von: Birgit Franz
Stand: 02/2024

Die Studie quantifiziert den Zusammenhang zwischen der Publikation wissenschaftlicher Artikel eines Landes im paralympischen Sport und den durch das jeweilige Land gewonnenen Medaillen bei den Paralympischen Sommer- und Winterspielen zwischen 2012 und 2022. Zusätzlich dazu wurden aus den insgesamt 525 in die Analyse eingeschlossenen Artikeln die am häufigsten vertretenen Wissenschaftsdisziplinen und die Top 5 der Artikel für alle paralympischen Sportarten ermittelt.


Studie:

Zur Studie
https://www.mdpi.com/2673-7078/4/1/8
Take-aways

Es werden 7 x mehr wissenschaftliche Artikel zu Sportarten der Sommerparalympics publiziert als zu denen der Winterparalympics.

Für die Sommerparalympics wurde eine starke Korrelation (r = 0,79) zwischen der Anzahl der Medaillen und der Anzahl der von einem Land publizierten wissenschaftlichen Artikel festgestellt, während sich für die Winterparalympics nur eine geringe Korrelation (r = 0,12) ergab.

Thematisch betrachtet machen Artikel aus dem Bereich Biomechanik fast 50 % der Veröffentlichungen zum Parasport aus.

Aufgrund des festgestellten engen Zusammenhangs zwischen der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit und der Anzahl der gewonnenen Medaillen werden die Parasportverbände ausdrücklich ermutigt, die Forschungs- und Publikationstätigkeit zum paralympischen Sport zu fördern und zu nutzen, um ihre Medaillenchancen zu erhöhen.

Zusammenfassung

Es wird der These nachgegangen, dass eine der Säulen für Erfolg im Parasport die Publikation wissenschaftlicher Artikel ist. Ein deutlicher Aufschwung des Interesses der Forschung im Parasport begann mit den Paralympics 2012 in London. Erkenntnisse aus dem olympischen Sport lassen sich nur bedingt auf den paralympischen übertragen (am ehesten ist dies bei Athlet*innen mit Defiziten der Extremitäten möglich). Daher ist spezifische Forschung erforderlich, um die spezifischen Einfluss­­­­­­­­­faktoren auf Spitzenleistungen bei Paraathlet*innen aufzuhellen.


Hypothese

Es besteht eine positive und starke Korrelation zwischen der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit eines Landes und den damit von ihm erreichten paralympischen Podiumsplatzierungen.


Ziel der Studie

  1. Quantifizierung des Zusammenhangs zwischen der Publikation wissenschaftlicher Artikel zum Parasport und den von den Ländern bei den Paralympischen Sommer- und Winterspielen zwischen 2012 und 2022 gewonnenen Medaillen.
  2. Ermittlung der wissenschaftlichen Disziplinen, die in den paralympischen Sportarten am meisten untersucht werden.
  3. Auswahl der fünf wichtigsten für jede paralympische Sportart publizierten Artikel.

Untersuchungsmethode

Die Recherchen erfolgten im Web of Science (ClarivateTM) sowie in PubMed und Google Scholar. 525 Artikel aus dem Zeitraum 1989-2022 entsprachen den Inklusionskriterien für die Studie. So wurden beispielsweise nur englischsprachige Publikationen berücksichtigt. Länder mit weniger als zehn Artikeln für die Sommerparalympics und weniger als einem Artikel für die Winterparalympics wurden in der Analyse nicht berücksichtigt, z. B. Frankreich.

Die Medaillenbilanzen der Länder sowie die Beteiligung in den einzelnen Sportarten wurden der offiziellen Website des Internationalen Paralympischen Komitees für die untersuchten Paralympischen Sommer- und Winterspiele (Sommer: London 2012, Rio de Janeiro 2016; Winter: Sotschi 2014, Pyeongchang 2018, Peking 2022) entnommen und mit der Publikationszahl wissenschaftlicher Parasportartikel pro Land korreliert (ein Artikel wurde sowohl dem Land des Erstautors als auch denen aller Co-Autoren zugerechnet).

Die Artikel wurden zudem inhaltlich nach Wissenschaftsdisziplinen kategorisiert.

Das Ranking der Artikel wurde in einem dreistufigen Prozess ermittelt: Zunächst erfolgte eine Kategorisierung nach Sportarten. Anschließend wurde für jede Sportart jeder Artikel auf der Grundlage eines Zitationsindexes unter Verwendung des Web of Science Citation Report (ClarivateTM) bewertet. Schließlich wurde die Relevanz jedes Artikels für jede Sportart von zwei Gutachtern unabhängig voneinander bewertet. Ergebnis war eine Zusammenstellung der fünf wichtigsten Artikel für alle paralympischen Sportarten (mit Ausnahme von Snowboarding, da hier nur zwei Artikel veröffentlicht wurden).


Ergebnisse

Publikationstätigkeit

Die Länder mit den meisten Veröffentlichungen sind Großbritannien (109 Artikel), Brasilien (92) und Kanada (68), gefolgt von den USA (61), Australien (54) und den Niederlanden (52). Länder ohne Wintersportbedingungen publizieren nur wenig oder gar nicht zum Thema paralympischer Wintersport (Südafrika, Portugal und Brasilien). Überraschenderweise war auch Großbritannien mit seiner hohen Publikationszahl kaum mit Artikeln zum Wintersport (5) vertreten. Norwegen dagegen trug fast gleich viele Artikel zu den Sommer- und Winterparalympics bei. Insgesamt wurden im untersuchten Zeitraum bis 2022 402 Artikel zu den Sommer- und 64 zu den Winterparalympics-Sportarten publiziert (Abb. 1).

Die Zahl wissenschaftlicher Artikel zum Parasport ist zwar insgesamt relativ gering, jedoch stetig wachsend (Abb. 2). Einen deutlichen Sprung machte diese Zahl ein Jahr vor den Paralympischen Spielen 2012 in London. Als Gründe für die deutlich höhere Zahl wissenschaftlicher Artikel zum olympischen Sport (> 34.000, Millet, Brocherie & Burtscher, 2021) gegenüber der zum paralympischen Sport (1.351) werden das spätere Entstehen der Paralympics (1960) gegenüber Olympischen Spielen (1896) sowie die größere Anzahl an Nationen, Athleten, Sportarten und Entscheidungen bei OS/OWS vermutet.


 

 

Relation Publikationstätigkeit - Medaillen

Sommer

Der Abgleich der Gesamtzahl der Podiumsplätze der einzelnen Länder im Verhältnis zu ihrer wissenschaftlichen Publikationstätigkeit ergab für die Sommerparalympics eine starke Korrelation (r = 0,79). Großbritannien (391), die USA (317) und Australien (245) gewannen bei den Sommerparalympics 2012-2020 die meisten Medaillen, Großbritannien (112), Brasilien (92) und Kanada (60) publizierten die meisten Artikel für paralympische Sommersportarten (Abb. 3).

Winter

Kanada (14), Italien (13) und Norwegen (11) liegen bei der Anzahl an Publikationen im paralympischen Wintersport vorn, während Russland, die USA, Kanada, China und Deutschland mit 104, 74, 69, 62 bzw. 53 Medaillen die Podiumsplätze dominierten (Abb. 4). Die Korrelation zwischen der Anzahl der Artikel und der Gesamtmedaillenzahl ist bei den Winterparalympics mit r = 0,12 sehr gering, was damit erklärt wird, dass einige medaillenreiche Länder (Russland, China) nur eine sehr niedrige Anzahl von Artikeln aufweisen, während andere (Italien, Norwegen und Schweden) mit relativ vielen Artikeln nur wenige Medaillen gewannen.

Russland und China haben bei Sommerparalympics zwischen 2012 und 2020 220 bzw. 677 Medaillen gewonnen, jedoch nur 5 bzw. 6 zählbare Artikel verfasst sowie 104 bzw. 62 Medaillen bei Winterparalympics gewonnen und entsprechend 2 bzw. 3 publiziert. Es wird geschlussfolgert, dass einige Länder zwar viel Forschung im Bereich des Parasports betreiben, ihre Ergebnisse aber offenbar nicht in englischsprachigen Fachzeitschriften veröffentlichen.


 

 

Wissenschaftsdisziplinen

Die am häufigsten unter den 525 untersuchten Artikeln vertretene Wissenschaftsdisziplin ist die Biomechanik, die fast die Hälfte (49,1 %, 258 Artikel) der wissenschaftlichen Produktion zum Parasport ausmacht (Abb. 5). Es folgen die Physiologie (28,6 %, 150 Artikel), die nach Millet, Brocherie und Burtscher (2021) die am häufigsten in den olympischen Sportarten untersuchte Wissenschaftsdisziplin ist und die Psychologie/Sozialwissenschaft (15,6 %, 82 Artikel). Alle anderen Dis­ziplinen waren mit je etwa 10 % vertreten.


Aus allen analysierten Artikeln wurden unter Hinzuziehung eines Gewichtungsfaktors, der das Erscheinungsjahr des Artikels berücksichtigt, die Top 5 für jede Sportart ermittelt. Diese sind im Originalpaper in den Tabellen 2 (Sommer) und 3 (Winter) zu ersehen. Mittels dieser Zusammenstellung können Trainer und Sportwissenschaftler auf die relevantesten Arbeiten auf der Grundlage der eingesetzten Auswahlkriterien zugreifen (alle Artikel sind auch in der Datenbank SPONET nachgewiesen).


Literatur
  1. Pilon, F., & Prince, F. (2024). Does Producing Scientific Articles Lead to Paralympic Podiums? Bio-mechanics, 4 (1), S.123-143. https://doi.org/10.3390/biomechanics4010008
  2. Millet, G. P., Brocherie, F., & Burtscher, J. (2021). Olympic Sports Science-Bibliometric Analysis of All Summer and Winter Olympic Sports Research. Front. Sports Act. Living, 3, 772140. https://doi.org/10.3389/fspor.2021.772140