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Darstellung der Rahmenbedingungen für die duale Karriere in Deutschland

Sachstand 2022

Autor: Sven Baumgarten
Stand: 2022

Das 10-Punkte-Programm zur Dualen Karriere des DOSB 2021-2028 beschreibt die Entwicklung seit 2013, die aktuellen Sachstände und die neuen Zielstellungen bis 2028. Darüber hinaus werden davon abgeleitete Leistungsreserven im deutschen Leistungssportsystem diskutiert (s. a. separate Infografik). Handlungsgrundlage ist die mit allen beteiligten Akteuren abgestimmte Definition des Begriffs „Duale Karriere“ als „die potenzialgerechte Talententfaltung in der Leistungssportkarriere (durch bestmögliche Förderung) mit dem Ziel Weltspitze und die Ermöglichung einer potenzial-gerechten Bildungskarriere als Basis für eine potenzialgerechte Chance auf dem Arbeitsmarkt jeweils unter Berücksichtigung der individuellen Persönlichkeitsentwicklung“ und damit die Kennzeichnung der Sportkarriere als Primat im Prozess der Dualen Karriere.


Studie:
Hauptvortrag im Rahmen des Nachwuchsleistungsport-Symposiums 2022 im Mai 2022 in Leipzig
Zur Studie
https://duale-karriere.de/
Take-aways

Wir können zukünftig international nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn es jetzt bzw. in der nahen Zukunft gelingt, ein einheitliches Gesamtkonzept zu entwickeln, das in allen Teilen Weltspitze ist, d. h., das

ausgerichtet ist auf ein konkretes, gesellschaftlich konsensfähiges Ziel, (Weltspitze in welcher Vielfalt?),

eine Gesamtstruktur beschreibt und damit den LLA von der Kita bis zur Weltspitze,

allen Strukturelementen konkrete Aufgaben, Zuständigkeiten und Teilziele in Ausrichtung auf die Gesamtzielstellung zuordnet,

eine komplett beschriebene Personalstruktur mit Stellenbeschreibungen, Anforderungen an das Ausbildungssystem (universitär!), Weiterbildungs- und Finanzierungssystem (vollständig hauptamtlich und angemessen eingruppiert, auch im Sichtungs- und Nachwuchsbereich) enthält,

eine Finanzierungsgrundlage mit dem Anspruch Weltspitze nutzen darf (Beitrag und Zusammenwirken aller Finanzgeber, budgetiert für Vierjahreszyklen, deckungsfähig in allen Positionen, Zuordnung der Finanzverantwortung zur >Zentrale< des professionellen Leistungssportsystems),

ein Kooperations- und Kommunikationskonzept beinhaltet, das klare Regeln und standardisierte Abläufe der Zusammenarbeit aller Teilbereiche (auch für sportexterne Partnerschaften) zugrunde legt und welches zusätzlich durch eine nationale Kampagne begleitet wird (eine Headline: „Sportnation Deutschland“?).

Zusammenfassung

„Das Thema Duale Karriere habe ich als Sportlerin zunehmend ernster genommen. Doch erst jetzt – als Laufbahnberaterin am Olympiastützpunkt Berlin – weiß ich, was alles beachtet werden muss, aber auch, wie viele Unterstützungsmöglichkeiten in Deutschland existieren und dass es sehr sinnvoll ist, rechtzeitig einen Karriereplan zu entwickeln“, so beschreibt Britta Steffen, wie sich ihre Sicht auf das Thema Duale Karriere im Lauf der Zeit verändert hat.

Um diese Unterstützungsmöglichkeiten der Dualen Karriere systematisch weiter auszubauen, hat das Expert*innen-Team „AG Duale Karriere“ sehr aufwendig in 57 Meetings und mit mehr als 50 beteiligten weiteren Fachleuten konkrete Ziele bis 2028 im neuen 10-Punkte-Programm fixiert. Grundsätzlich geht es darum, die Rahmenbedingungen für die Duale Karriere bedarfsgerecht weiterzuentwickeln und dabei die Sportkarriere in den Mittelpunkt zu stellen, was auch bedeutet, die Bedarfe der Karriere über den gesamten langfristigen Leistungsaufbau (LLA) zu berücksichtigen und auf die sich verändernde Umstände und Schwerpunkte über die Zeit einzugehen und ihnen gerecht zu werden. Besonders im Blickpunkt ist dabei, dass die Karriereplanungen langfristig, individuell mit allen dazugehörigen Entscheidungen und die Ressourcen optimal nutzend auf die Ziele Olympia, Paralympics oder World Games ausgerichtet sind.

Um diese Ziele erreichen zu können, ist ein gleichlautendes Verständnis für die Duale Karriere notwendig:

  • Verantwortungsbewusstsein in der gesamten Gesellschaft und im Leistungssportsystem für eine optimale Talententfaltung und eine trotzdem potenzialgerechte Bildungskarriere sowie eine nachteilsfreie Berufskarriere
  • Verantwortungsvolle, professionelle Begleitung über den gesamten langfristigen Leistungsaufbau unter Einbeziehung des Karriereendes
  • Reibungsloser und begleiteter Übergang von der Sportkarriere in die Berufskarriere
  • Duale Karriere bedeutet nicht, dass zu jedem Zeitpunkt des LLA beide Karrieren (Sport- und Bildungskarriere) parallel stattfinden sollen, auch geplante Vollprofi-Phasen stehen nicht im Widerspruch zur verantwortungsvollen Umsetzung der Dualen Karriere
  • Grundlage der dualen Karriereplanung muss die Orientierung an den ersten erreichbaren Olympischen Spielen, Paralympics, World Games oder Deaflympics sein sowie die gezielte Vorbereitung der Teilnahmen mit größtmöglichem Erfolg

 

Die aktuellen Sachstände und ausgewählte neue Zielstellungen zu den einzelnen Punkten im 10-Punkte-Programm zur Dualen Karriere werden im Folgenden erläutert.


Punkt 1: Weiterentwicklung der Laufbahnberatung an den Olympiastützpunkten

In den vergangenen Jahren hat ein systematischer Stellenausbau der hauptamtlichen Laufbahnberater*innen stattgefunden. Seit dem Jahr 2021 arbeiten 43 Personen auf 39,25 Stellen an den Olympiastützpunkten. In Kooperation zwischen dem DOSB und den Laufbahnberater*innen wurden auch einheitliche Beratungsstandards und damit die Basis für ein einheitliches Auftreten im Sinne der Athlet*innen erarbeitet. Von besonderer Bedeutung sind die Sprecher*innengruppe sowie die sieben permanenten Laufbahnberater*innen-AGs (Schule, Studium, Ausbildung/Beruf, staatliche Dienste, Beratung/Diagnostik/Fortbildung, Information/Öffentlichkeitsarbeit; Parasport).


Punkt 2: Weiterentwicklung der Partnerschaft Schule und Leistungssport

Aktuell gibt es deutschlandweit 43 Schulen, die das Prädikat „Eliteschule des Sports“ (EdS) als Auszeichnung oder als faktischen Entwicklungsauftrag erhalten haben. Sie betreuen rund 10.000 Sportschüler*innen und verfügen über etwa 3.000 Internatsplätze. In einer zweiten Ebene unter den EdS sind ca. 200 sportbetonte Schulen in Deutschland erfasst sowie in acht Bundesländern sportbetonte Grundschulen, deren Entwicklung und Einbeziehung in das Gesamtsystem auch vom Steuerkreis der EdS begleitet werden soll. Auf der Grundlage einer gemeinsamen Beschlussfassung von KMK, SMK, DOSB (2017/18) wurde 2018 der Steuerkreis 1 gegründet und mit der Weiterentwicklung der EdS (jeweils gesteuert vom DOSB/GB-L) beauftragt. Dieser leitet auch die regelmäßigen Bundeskonferenzen aller EdS sowie die zwei jährlichen Tagungen der Sportinternate. Außerdem ist es in allen Bundesländern möglich, die Schulzeit zu verlängern.


Punkt 3: Weiterentwicklung der Koordinierbarkeit von Studium und Spitzensport

Ca. 80 % der geförderten Sportler*innen erwerben die Hochschulzugangsberechtigung. Die Mehrheit von ihnen strebt dann auch ein Studium an. Dies wird inzwischen von ca. 200 Partnerhochschulen unterstützt, basierend auf einem Kooperationsvertrag mit den Olympiastützpunkten (OSP). Darüber hinaus existiert aktuell bereits in 13 Bundesländern (BL) eine Vorabquote Leistungssport. Das bedeutet, dass eine bestimmte Anzahl der Studienplätze für Spitzensportler*innen vorgehalten wird. Ziel ist hier die möglichst zeitnahe Umsetzung in allen BL und für die vier bundesweiten NC-Studienfächer.


Punkt 4: Weiterentwicklung der Vereinbarkeit von Ausbildung/Beruf und Spitzensport

Ca. 20 % der geförderten Sportler*innen benötigen eine spitzensportkompatible Ausbildung. Hier stehen inzwischen zahlreiche Optionen zur Verfügung. So gibt es Stellen bei der Polizei und auch bei der Bundeswehr mit Ausbildungsoptionen sowie OSP-Projekte mit weiteren Stellen in der Wirtschaft. Zur Würdigung dieser Partnerschaften werden seit 2015 jährlich 1-3 Betriebe als „spitzensportfreundlich Betriebe des Jahres“ durch den DOSB und die Sportministerkonferenz ausgezeichnet.


Punkt 5: Weiterentwicklung der Dualen Karriere auf staatlichen Sportförderstellen

Ein Alleinstellungsmerkmal des deutschen Spitzensports sind die ca. 1.500 staatlichen Förderstellen bei der Bundeswehr, der Bundes- und Landespolizei, dem Zoll sowie der Feuerwehr und in der öffentlichen Verwaltung. In den meisten Fällen werden diese Stellen mit einem Studium oder einer Ausbildung kombiniert. So haben die Sportler*innen eine soziale Absicherung und entwickeln eine berufliche Perspektive. Außerdem besteht die Möglichkeit, aus zahlreichen Karrieremodulen zu wählen und sich entsprechend fortzubilden. Besonders zu betonen ist in diesem Zusammenhang auch die enge Kooperation von Sportfördergruppen –Berufsförderungsdienst der Bundeswehr-Laufbahnberater*innen sowie Bundespolizei/Landespolizei – Laufbahnberater*innen und dem DOSB.


Punkt 6: Weiterentwicklung der nachsportlichen Förderung

Seit 2013 wird das Karriereende als Bestandteil der Sportkarriere systematisch in die Duale-Karriere-Thematik einbezogen. Denn in den seltensten Fällen endet eine Sportkarriere abrupt und plötzlich, viel mehr ist dies ein Prozess. Um auf die nächsten Schritte nach dem Karriereende vorbereitet zu sein, wurden an den OSPs sogenannte „Zukunftsgespräche“ zum Ende der Sportkarriere mit den Laufbahnberater*innen eingeführt. Weiterhin konnten diverse Nachkarriere-Bausteine, wie die Altersvorsorge, durch das Bundesministerium des Inneren und für Heimat installiert werden.


Punkt 7: Weiterentwicklung der Dualen Karriere in den Spitzenverbänden

Abb 1.: Formblatt zur Karriereplanung

Um das Thema der Dualen Karriere in den Spitzenverbänden systematischer zu platzieren und als Leistungsreserve zu nutzen, wurde abgestimmt, dass hauptamtlichen Ansprechpartner*innen für Duale Karriere durch die Spitzenverbände benannt werden. Als Handlungsbasis ist gemeinschaftlich ein „Basisleitfaden“ für Kommunikation und Kooperation zwischen DOSB/Duale Karriere, den Laufbahnberater*innen und den Spitzenfachverbänden sowie den Bundesstützpunktleiter*innen entwickelt worden, ebenso ein Formblatt, welches als Grunddatei für eine langfristige, individuelle, duale Karriereplanung dient.


Punkt 8: Weiterentwicklung der Öffentlichkeitsarbeit zur Dualen Karriere

Ein wichtiges, sich ständig weiterentwickelndes Feld ist das der Öffentlichkeitsarbeit. Hier ging im Jahr 2015 die Homepage www.duale-karriere.de als Informationsplattform für Athlet*innen online. Neben umfassenden sachlichen Informationen werden „Best Practice“-Beispiele zur Dualen Karriere von absoluten Topathlet*innen dargestellt. Die Lang- und Kurzversion ist dazu auf der Homepage veröffentlicht. Aktuell wird ein neues Medienkonzept als Medienmix entwickelt.


Punkt 9: Persönlichkeitsentwicklung und Duale Karriere

Das Themenfeld „Persönlichkeitsentwicklung und Duale Karriere“ wurde im Jahr 2021 neu in das 10- Punkte-Programm aufgenommen. Die Persönlichkeitsentwicklung wurde ist als wesentlicher Baustein in der dualen Karriere identifiziert und hängt unmittelbar mit dieser zusammen. Stufenweise wird die Entwicklung der Persönlichkeit systematisch in die Beratung durch die Laufbahnberater*innen an den OSPs aufgenommen und die Kooperationen mit den OSP-Sportpsychologen werden planmäßig ausgebaut. Ziel ist es, die Persönlichkeitspotenziale auszuschöpfen und sowie eine ganzheitliche Betrachtung der Athlet*innen zu fokussieren.


Punkt 10: Weiterentwicklung des Expertenteams „AG Duale Karriere des DOSB“

Nicht zuletzt geht es auch darum, dass Expertenteam ständig weiterzuentwickeln. Die AG Duale Karriere ist seit 2017 ausschließlich mit hauptamtlich agierenden Personen b der folgenden Organisationen besetzt: Athletendeutschland e. V., OSP (Laufbahnberater*innen und Leiter*innen), Bundeswehr, Sporthilfe, Bundesministerium des Innern und für Heimat (als ständiger Gast), DOSB/GB-L (Bereich Duale Karriere, Geschäftsführung der AG). Die AG Duale Karriere steuert und koordiniert die Umsetzung des 10-Punkte-Programms. Weiterhin wird die Thematik „Duale Karriere“ in verschiedenen Strukturen und Teilsystemen des Leistungssports platziert, wie beispielsweise in PotAS, Struktur-, Meilenstein- und Regionalgesprächen sowie seit 2022 in den Duale-Karriere-Gesprächen.


Ausblick

Trotz und gerade wegen der bereits erreichten Meilensteine im Bereich Duale Karriere ist es für die Zukunft von entscheidender Bedeutung, alle möglichen weiteren Leistungsreserven zu prüfen und sich mit diesen systematisch zu befassen. Ist unser Anspruch Weltspitze, müssen alle Teilbereiche des Gesamtsystems Weltspitze sein und wir müssen ehrlich analysieren, wo und aus welchen Gründen dies nicht der Fall ist. Das bedeutet: Alle Bereiche müssen auf ihren Stand und die Differenz zur Weltspitze geprüft und anschließend optimiert werden. Beispielsweise gibt es noch keine Standards zum systematischen Vorschul- oder Grundschulsport, welche jeweils an bundesweit einheitliche Mindestanforderungen geknüpft sind. Der gesamte Bereich des Schulsports muss optimiert werden. Aktuell fehlt auch ein bundesweites Konzept zur Internatsförderung an den EdS.

Weiterhin sind im NWLS-Konzept 2020 bundesweite Bewegungschecks vorgesehen, welche endlich umsetzt werden müssen, auch ein (einheitliches) Sichtungssystem ist eine wichtige Optimierungsmöglichkeit im Sportsystem. Weitere Leistungsreserven bestehen darin, dass alle Stellen im Leistungssportsystem durch zielgerichtet universitär ausgebildetes Personal besetzt werden (auf der Grundlage eines Personalentwicklungskonzepts). Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass Trainer*innen im Nachwuchsleistungssport schlechter gestellt sind als im Spitzensport. Ebenso findet in vielen Sportarten eine Sozialauswahl statt, bedingt durch hohe Kosten der Selbstbeteiligung der Eltern. Weiterhin ist die schnellstmögliche Wiedereinführung der finanziellen Regelförderung der NK-I-Sportler*innen notwendig.


Literatur
  1. www.duale-Karriere.de –Kurz- und Langversion
  2. Baumgarten, S. (2018). Duale (Leistungssport)-Karriere in Deutschland. Stand und Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen. Leistungssport 48(2), S 4-9.
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