Wie gut lässt sich die maximale Wettkampfleistung von Gewichthebern vorhersagen?

Dieser Frage sind Ingo Sandau vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) Leipzig und Kristof Kipp von der Marquette University in den USA in einer neuen Studie nachgegangen. Ziel der beiden Wissenschaftler war es, ein statistisches Modell zur Vorhersage der Wettkampfleistung im Reißen und Stoßen zu entwickeln. Die Ende 2024 im Fachmagazin "Journal of Strength and Conditioning Research" veröffentlichte Studie zeigt, dass trotz guter Modellanpassung die Vorhersagegenauigkeit für die Praxis nicht ausreicht.

Leistungsdiagnostik Gewichtheben am IAT (Foto: IAT)

Leistungsdiagnostik Gewichtheben am IAT (Foto: IAT)

Die Idee, die Wettkampfleistung von Gewichthebern mit Regressionsmodellen vorherzusagen, ist nicht neu“, sagt Sandau. Die Leistung beim Gewichtheben lässt sich aus der Maximalleistung bei sogenannten Zubringerübungen wie Kniebeugen, Zugübungen oder Überkopfdrücken prognostizieren. „Bisher wurden aber in der Regel einfache lineare Regressionsmodelle verwendet und keine Prüfung der Genauigkeit für unbekannte Daten vorgenommen. Das wollten wir mit unserer Studie ändern und damit das Ganze anwendungsorientierter machen“, sagt Sandau.

Verfeinerter methodischer Ansatz
Um ein zuverlässiges statistisches Modell zur Vorhersage der Wettkampfleistung im Reißen und Stoßen im Gewichtheben zu entwickeln, gingen Sandau und Kipp wie folgt vor: Sie nutzten archivierte Daten von 29 Gewichthebern der deutschen Nationalmannschaft, die zwischen 1998 und 2019 an internationalen Wettkämpfen teilgenommen hatten. Die Forscher speisten die Testergebnisse der Athleten bei Zubringerübungen in Rechenmodelle ein, mit denen sich die Leistung anhand verschiedener Variablen (Prädiktoren) vorhersagen lässt. Dabei handelte es sich um zwei unterschiedliche Regressionsmodelle: eine gewöhnliche lineare Regression und eine Ridge-Regression. Bei der Ridge-Regression können im Gegensatz zur linearen Regression auch mehr als zwei Variablen stark miteinander korreliert sein. Die Forscher sprechen dabei von Multikollinearität. Wie zuverlässig das Modell ist, überprüften sie unter anderem mit Hilfe einer Kreuzvalidierung. Damit lässt sich herausfinden, wie gut das Modell theoretisch auf unbekannte Daten reagiert.

Ergebnisse bestätigen den Wert bestimmter Zubringerübungen
Die Ridge-Regression erwies sich als das zuverlässigere Modell mit den plausibleren Modellkoeffizienten und geringeren Vorhersagefehlern. Die stärkste Vorhersagekraft für die Leistung im Reißen zeigte sich für den Prädiktor „Zugübung breit“. Für das Stoßen waren die „Zugübung eng“ und die Frontkniebeuge ausschlaggebende Prädiktoren. 
Der Haken an der Sache: Der Vorhersagefehler lag bei Kreuzvalidierung im Mittel bei 3 Kilogramm (1,9 Prozent) für die Vorhersage der Leistung im Reißen und bei 3,5 Kilogramm (1,8 Prozent) für die Leistung im Stoßen. Der absolute Vorhersagefehler für unbekannte Daten betrug sogar 5,1 Kilogramm (3,2 Prozent) für das Reißen und 6,5 kg (3,3 Prozent) für das Stoßen.

Geringe Praxistauglichkeit von Regressionsmodellen auf Basis von Querschnittsdaten
Auch mit dem optimierten Modell inklusive Kreuzvalidierung kommt unterm Strich raus, dass die Vorhersage der Wettkampfleistung sich nicht in ausreichendem Maße für die Praxis eignet“, sagt Sandau. „Gerade im Spitzensport sollte man sich also nicht darauf verlassen, weil schon eine Abweichung von einem Prozent in der vorhergesagten Leistung im Wettkampf über eine Medaille oder Platz vier entscheiden kann.“ Sandau betont daher, dass die Rechenmodelle für individuelle Vorhersagen nur begrenzt anwendbar sind.
Ein Grund dafür sind auch die Limitationen der Daten. Sie stammen aus einer Querschnittsuntersuchung und beschreiben retrospektiv eine Momentaufnahme der Leistungen der 29 Athleten. Das Modell kann nicht abbilden, wie eine gesteigerte Leistung die Zielgröße beeinflusst. Deshalb plant Sandau weitere Untersuchungen: „Mein Ziel ist es, auf Basis unserer Daten individualisierte Vorhersagemodelle zu entwickeln. Wenn wir Modelle auf Basis der über mehrere Jahre dokumentierten Leistung eines Sportlers oder einer Sportlerin erstellen, dann könnte das den Vorhersagefehler verringern.“
Für Ingo Sandau ist das Teil einer größeren wissenschaftlichen Herausforderung im Leistungssport: „Wir müssen daran arbeiten, die uns verfügbaren Daten im Leistungssport gezielter auszuwerten, um ein besseres Verständnis von Ursache und Wirkung zu bekommen“.

Die unter dem Titel „Prediction of Snatch and Clean and Jerk Performance From Physical Performance Measures in Elite Male Weightlifters“ veröffentlichte Studie (Link) wurde vom Bundesministerium des Innern und für Heimat gefördert.