Snowboard-Freestyle-Tricks sind akrobatische Sprünge mit Rotationen um mindestens eine Rotationsachse. Die Rotationszahl eines Tricks entspricht der Summe der Rotationen des Snowboards um alle drei Rotationsachsen und ist Teil der Trickbezeichnung, zum Beispiel 720° bei einem „Backside 720“. In der Snowboard-Freestyle-Szene gilt die Rotationsanzahl als Indikator für die Schwierigkeit eines Tricks, was wiederum die Grundlage für die Bewertung im Wettkampf bildet. Die neue Studie zeigt jedoch, dass die tatsächlich gemessene Rotationszahl von der erwarteten abweichen kann.
Forscher messen Rotationsparameter mit kinematischer Analyse
Die Forscher um Erstautor Christian Merz vergleichen in der neuen Studie die gemessene mit der angenommenen Rotationsanzahl bei verschiedenen Snowboard-Freestyle-Tricks. Realisiert haben sie dieses Forschungsprojekt mittels modernster kinematischer Analyse und Bewegungsaufzeichnung bei 16 Freestyle-Snowboarder*innen der deutschen Nationalmannschaft. Die Elite-Athlet*innen führten insgesamt 149 Snowboard-Tricks in den drei Kategorien „Flatspin“, „Corks“ und „Flips“ auf einem Trampolin mit Bounce Board aus.
Athlet*innen nehmen Abkürzungen und Umwege bei Rotationen
Christian Merz und sein Team stellten dabei fest, dass die gemessene Rotation bei „Corks“ und „Flips“ häufig geringer ist als die angenommene Rotation. Damit haben sie dieses Phänomen, das sie als „Shortcut“ (Abkürzung) bezeichnen, erstmals systematisch dokumentiert. Bei „Flatspins“ hingegen stellten sie eine positive Rotationsabweichung fest. Das bedeutet, dass Athlet*innen hier mehr als die angenommene Rotation durchführen – ein „Detour“ (Umweg) in der Rotationsbewegung.
Die Ergebnisse zeigen also, dass Athlet*innen Tricks wie „Corks“ und „Flips“ häufig mit weniger Drehung ausführen als angenommen, während sie sich bei „Flatspins“ oft mehr drehen als angenommen. Ein „Cork“ oder „Flip“ mit Shortcut kann theoretisch langsamer gedreht und somit sicherer ausgeführt werden als ein „Flatspin“ mit identischer angenommener Rotationsanzahl. Dies könnte insbesondere für Tricks mit hohem Risiko von Bedeutung sein, da das Erlernen und die Kontrolle von Tricks durch ein besseres Verständnis der Rotationsmechanismen optimiert werden können.
Bedeutung für Training und Wettkampfbewertung
Der Shortcut ist wichtig für Snowboarder*innen und Trainer*innen während des Lernprozesses und Trainings sowie für die Wertungsrichter*innen bei der Bewertung von Tricks. Denn schließlich ist die Rotationszahl der wichtigste Parameter für die Bewertung der Leistung im Wettkampf und steht daher im Fokus des Trainings. „Die neuen Erkenntnisse aus dieser Studie könnten langfristig dabei helfen, ein präziseres Trainings- und Bewertungssystem für Snowboard-Freestyle zu entwickeln“, sagt Merz. „Wir haben erstmals gezeigt, dass dieser Shortcut stattfinden kann, wenn die Rotation um mehrere Rotationsachsen gleichzeitig stattfindet. Jetzt müssen wir herausfinden, wie dieser Shortcut erzeugt werden kann.“
Merz führt also weitere Studien durch, um zu erforschen, wie die Athlet*innen die tatsächliche Drehung beeinflussen und den Shortcut bei Tricks vergrößern können. Er untersucht zum Beispiel wie die Flugzeit und die Rotationsgeschwindigkeit mit dem Zielparameter – der Rotationsanzahl – zusammenhängen. Wenn auch diese Ergebnisse vorliegen, kann vorhergesagt werden, welcher biomechanische Parameter den größten Einfluss auf die Rotationsanzahl hat. Dementsprechend kann ein Leitfaden für Trainer*innen entwickelt werden, der beschreibt, welcher Trainingsaspekt mehr Potenzial zur Verbesserung des Zielparameters hat. Hierfür wird es wichtig sein, den Shortcut zu berücksichtigen.
Obwohl es derzeit nicht möglich ist, den Shortcut im Wettkampf zu messen und in die Bewertung einfließen zu lassen, sollten Wertungsrichter*innen die Ergebnisse der aktuellen Studie kennen und berücksichtigen. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Wertungsrichter die Abweichungen der Rotationsanzahl in ihre Bewertungen einbeziehen sollten, um den Schwierigkeitsgrad genauer einschätzen zu können“, sagt Merz.
Die Autoren weisen außerdem darauf hin, dass die Ergebnisse auch für andere akrobatische Sportarten relevant sein könnten, in denen Tricks mit Rotationen eine zentrale Rolle spielen, wie zum Beispiel Kunstturnen oder Wasserspringen. Daher erachten sie auch weitere Studien in anderen akrobatischen Sportarten als interessant.
Die unter dem Titel „Is a cork a legal shortcut? – A comparison of the measured and assumed amount of rotation in freestyle tricks“ veröffentlichte Studie wurde vom Bundesministerium des Innern und für Heimat gefördert und durch einen Beschluss des Deutschen Bundestages unterstützt.
Den Ergebnissen dieser Studie zugrundeliegende Daten und Videos der Bewegungsaufzeichnung sind online frei zugänglich unter https://doi.org/10.6084/m9.figshare.25285348.