Optimierungspotenziale im olympischen Bogenschießen: Entwicklung eines sportartspezifischen Mess- und Informationssystems

Paris im Visier: Der DSB hat aktuell bereits Quotenplätze in vier von fünf olympischen Wettbewerben (Einzel Frauen, Team Frauen, Mixed, Einzel Männer, Team Männer) sicher. Bei der im Mai anstehenden Europameisterschaft nehmen die deutschen Recurve-Männer den Olympischen Quotenplatz im Teamwettbewerb ins Visier. Bereits im Oktober 2023 starteten DSB-Bundestrainer Oliver Haidn und Nachwuchsbundestrainer Frederick Siebert mit den DSB Top-Athleten*innen am IAT die Olympiasaison. Zuletzt unterstützte ein IAT-Team aus Dr. Janine Blenke (IAT Sport- und Bogenschießen) und Michael Bunk (IAT-Sportinformatik) beim zentralen Lehrgang in Kienbaum mit spezifischen Messungen zu Kraftvoraussetzungen der Athlet*innen dank eines neu am IAT entwickelten Mess- und Informationssystem (MIS Bogen).

Das Bogenschießen, bereits bei den Olympischen Spielen 1900 bis 1920 im Programm, wurde nach längerer Pause erst 1972 wiederaufgenommen. Aktuell finden fünf Wettbewerbe im Bogenschießen bei Olympia statt: Einzel- und Mannschaftswettbewerbe der Herren und Damen sowie ein gemischter Mannschaftswettbewerb. Bei den Olympischen Spielen wird das Bogenschießen mit sogenannten Recurve-Bögen ausgeübt. Dabei schießen Athlet*innen auf 70 Meter entfernte Ziele und können mit jedem Pfeil zwischen 0 und 10 Ringe erreichen, wobei 10 Ringe für das Treffen des kleinsten Rings der Zielscheibe vergeben werden. 

Die Tradition sportartspezifischer Messplätze am IAT

Die Fachgruppe Sport- und Bogenschießen mit der Projektleiterin Dr. Janine Blenke verfolgt mit den Athlet*innen und Trainer*innen des Deutschen Schützenbundes das Ziel, in der Weltspitze auf breiterer Basis präsenter und bei Wettkampfhöhepunkten erfolgreich zu sein. Wie so oft im Spitzensport entscheiden im Bogenschießen winzige Unterschiede zwischen Sieg und Niederlage. Daher gilt es, selbst kleinste Reserven im Training oder der sportlichen Technik zu identifizieren. Mit dem aktuellen Projekt „Entwicklung eines Mess- und Informationssystems (MIS) im Bogenschießen“ soll die Leistungsfähigkeit von Athlet*innen bewertet und Optimierungspotenziale identifiziert werden. Die eingesetzten Verfahren und erhobenen Daten sollen dazu dienen, das Leistungsniveau unserer Athlet*innen quantitativ zu erfassen und mit Normwerten oder mit internationalen Spitzenathlet*innen zu vergleichen. Ziel ist es, den Trainer*innen fundierte Informationen über den aktuellen Trainingszustand bereitzustellen und durch regelmäßigen Einsatz der Messverfahren, Veränderungen und Fortschritte zu dokumentieren und ggf. begründete kontinuierliche Anpassungen im Training vorzunehmen.

Welche Technik ist erfolgsversprechender?

Mittels Videometrie und biomechanischer Untersuchungen wurden im deutschen Kader bereits zwei unterschiedliche Schießtechniken durch Aktivierungsmuster mittels EMG-Messungen sowie Winkeldarstellungen von Arm- und Schultergelenkpunkten identifiziert. Diese werden als Paralleltechnik (Schulter und Pfeilachse sind parallel) und Stütztechnik (gerade Linie zwischen Bogenarm und Schulterachse) klassifiziert. In der Weltspitze dominiert die Stütztechnik. Im aktuellen Projekt sollen für die Bogenschütz*innen diese beiden Schusstechniken verglichen und die vermuteten biomechanischen Vorteile der Stütztechnik bestätigt werden.

Markerlose Bewegungsanalyse Simi Motion

Ob sich die erfasste Muskelaktivität auch in der Bewegungskinematik widerspiegelt, soll mit dem zusätzlichen Einsatz des Simi Motion Systems aufgeklärt werden. Die Software analysiert die Bewegungsmuster und -abläufe und extrahiert daraus Informationen wie Gelenkwinkel, Geschwindigkeit, Beschleunigung und Positionen der verschiedenen Körperteile. Projektleiterin Dr. Janine Blenke stehen damit weitere dynamometrische und kinematische Daten zum Vergleich der Schießtechniken zur Verfügung. Dank des automatisch laufenden Hintergrund-Trackings können relevante Technikparameter sowohl im Video als auch im 3-D-Modell ausgegeben und sichtbar gemacht werden. Ein weiterer Vorteil der markerlosen Bewegungsanalyse ist die Möglichkeit, die Bewegungen in Echtzeit zu erfassen, zu analysieren und ein Sofortfeedback an Aktive und Trainerschaft zu geben.

Was passiert im Muskel?

Die zeitliche Abfolge und Stärke von Muskelaktivierungen in der Bewegungsabfolge der Bogenschütz*innen wird mithilfe der Elektromyografie erfasst und objektiviert. Dies ermöglicht die Aufnahme von Daten und Vergleiche sowohl eines Sportlers als auch zwischen verschiedenen Athlet*innen durchzuführen. Mit Hilfe der O-EMG Methode (Oberflächen-Elektromyographie) können intramuskuläre Vorgänge bei der eingesetzten Schießtechnik sichtbar gemacht und hinsichtlich ihrer Effizienz verglichen werden. Für den einzelnen Sportler lassen sich außerdem Informationen zu biomechanisch günstigen, muskulär schonenden und technisch zielführenden Bewegungstechniken ableiten. O-EMG-Daten liefern damit wertvolle Erkenntnisse über die muskuläre Aktivität und können dazu beitragen, die individuelle Technik zu verbessern, Verletzungen vorzubeugen und gezielte Trainingsmaßnahmen abzuleiten.

„Kräftemessen“

Mehrere Tonnen ziehen die Spitzenathlet*innen im Bogensport hochgerechnet pro Woche – eine Last, die eine gute Muskulatur voraussetzt. Neben den Untersuchungen zur Bewegungstechnik beschäftigt sich das Team um Dr. Janine Blenke daher auch mit dem Kraft- und Athletiktraining der Bogenschütz*innen. Dafür wird die individuelle Maximalkraft und Kraftausdauer der deutschen Spitzenathlet*innen objektiv erfasst, um ein individuelles, spezifisches Training der Kraftfähigkeiten abzuleiten.
Die muskuläre Aktivität variiert in den verschiedenen Positionsphasen des Schießzyklus. Während der Vorspannungsposition ist die Aktivität der Muskeln insgesamt relativ gering, da der Bogen nur wenig gespannt ist. In der Anhebe- und Stützposition steigt die muskuläre Aktivität deutlich an, da der Bogen auf Augenhöhe gebracht und die Stützlinie erzeugt wird. In der Halteposition ist die muskuläre Aktivität nahezu am höchsten, da der Bogen stabilisiert und gehalten werden muss. Nach dem Auslösen des Klickersignals – als höchster Gesamtaktivitätsgrad im Schießzyklus - lässt die muskuläre Aktivität bis Nachhalteposition mehr und mehr nach. Die Analyse zeigt, dass insgesamt vor allem die Muskulatur des Oberkörpers, insbesondere die Schulter- und Rückenmuskulatur, während des Schießzyklus aktiv ist. Dies ist nicht überraschend, da der Großteil der Kraftentwicklung beim Bogenschießen aus dem Oberkörper entwickelt wird. Die Muskulatur auf der Zugarmseite spielt eine wichtige Rolle beim Spannen der Bogensehne, während die Muskulatur auf der Bogenarmseite für die Stabilisierung und Ausrichtung des Bogens verantwortlich ist.
Um die eingesetzten Kräfte zu messen, werden während eines spezifischen Maximalkraftausdauertests mit mehreren Wiederholungen isometrische Kraftaufnehmer eingesetzt, um Ermüdungswerte zu ermitteln. Zukünftig liefern diese Messungen kombiniert mit den elektromyographischen Untersuchungen der beteiligten Muskelgruppen bei den Schießtechniken eine umfängliche Analysemöglichkeit der muskulären Voraussetzungen der einzelnen Aktiven. Auf Basis dieser Analysen können Ableitungen für ein individuelles Krafttraining der Schulter-Rückenmuskulatur getroffen werden und durch ein regelmäßiges Controlling können zudem Zusammenhänge zur Leistungsentwicklung aufgezeigt werden.

Der Beitrag entstand im Rahmen der Jahresbilanz IAT/FES im Dezember 2023