Skeleton ist spektakulär, die Athleteninnen und Athleten fahren mit dem Kopf voran und mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 145 Kilometer pro Stunde einen Eiskanal hinunter. Nach seiner olympischen Premiere 1928 und einem Zwischenspiel 1948, jeweils in St. Moritz, ist Skeleton erst seit Salt Lake City 2002 kontinuierlich auch mit Frauen im olympischen Programm vertreten. Die deutschen Skeletonis bestimmen seitdem die Weltspitze mit, doch eine Medaille fehlte bis 2022 in der Titelsammlung: Gold bei Olympischen Winterspielen. In Peking war es dann überraschend der jungen Hannah Neise gelungen.
Eine Leistungsreserve der Deutschen liegt vor allem auch im Start. So zeigten Wettkampfanalysen vergangener Olympischer Winterspiele und vorolympischer Wettkampfhöhepunkte Spitzenzeiten bei den Fahrleistungen deutscher Skeletonis, jedoch eher durchschnittliche Startzeiten. Eine Leistungsreserve, die es mit dem Blick auf die extreme Leistungsdichte der Weltspitze zu erschließen galt. Das Team der Fachgruppe Skeleton am IAT befasst sich deshalb mit der Verbesserung von Startleistungen, insbesondere durch eine trainingsmethodische (Neu-)Gestaltung des Schnelligkeits- und Krafttrainings unter einer stärkeren Berücksichtigung des skeletonspezifischen Bewegungsablaufs. Um trainingsmethodische Maßnahmen zur Erhöhung der Anlaufgeschwindigkeit bis zum Aufsprung auf den Schlitten ableiten zu können, musste ein Anforderungsprofil der Sportart erstellt werden. Weil der leichtathletische Kurzsprint verbreitet als Hauptselektionskriterium und Trainingsmittel für schnelle Skeletonstarts dient, untersuchte Projektleiterin Lisa Droske mittels kinematischer Analyse Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem skeleton- und sprintspezifischen Beschleunigungsanlauf.
In der Trainingspraxis zeigen sich oft Schwierigkeiten beim Transfer der leichtathletischen Beschleunigungsleistungen auf den skeletonspezifischen Beschleunigungsanlauf in gebeugter Haltung. „Trainer beschreiben beispielsweise Athleten, die ungenügende 30-Meter-Sprintzeiten, jedoch überdurchschnittliche Startzeiten im Skeletonstart aufweisen und umgekehrt“, sagt Lisa Droske. Als Ursache wird angenommen, dass die unterschiedlichen bewegungstechnischen Anforderungen auch ein unterschiedliches Voraussetzungsprofil erfordern, besonders sichtbar an der unterschiedlichen Oberkörperposition. Während im Sprint eine starke Oberkörpervorlage am Start und eine aufrechte Position in der Phase der maximalen Geschwindigkeit vorliegt, wird im Skeleton eine gleichbleibend starke Vorlage eingenommen.
Spannende Forschungsergebnisse
Signifikante Unterschiede zwischen Sprintstart und Skeletonanschub fanden sich in den Hüftwinkeln während der Stützphase. Im Skeletonstart ist aufgrund der Oberkörpervorlage ein durchweg kleinerer Hüftwinkel vorhanden. Auch der Fuß setzt im Skeleton in einem kleineren Winkel auf als im Sprint, was essenziell für eine tiefe Hüftposition und somit einen niedrigen Körperschwerpunkt ist. Der kleinere Winkel im Fußgelenk zeigt sich über die gesamte Stützphase. Erst zum Zeitpunkt des Fußabdrucks gibt es keine Unterschiede mehr zwischen Sprint und Skeletonanschub.
Deutliche Unterschiede fanden sich schlussfolgernd auch in den Winkelamplituden. Insgesamt müssen Athletinnen und Athleten beim Skeletonstart also eine stärkere Fußbeugung und einen größeren Winkelweg vom Mittelstütz bis zum Fußabdruck aufbringen sowie höhere Hüftwinkelgeschwindigkeiten erreichen.
Ableitungen für das Starttechnik-Training und das spezifische Athletiktraining
Als entscheidende Rolle für die Antriebsmuskulatur im Skeleton konnten durch die Analysen Fuß- und Hüftstrecker herausgestellt werden. Für das Training heißt das, die Beweglichkeit im Sprunggelenk herzustellen und gleichzeitig die Kraftentfaltung in diesem zu erhöhen (hohe Kraftgenerierung bei maximal gebeugtem Sprunggelenk). Gemeinsam mit Dr. Tobias Alt, verantwortlicher Trainingswissenschaftler am OSP Dortmund, wurde ein entsprechender Übungskatalog erstellt, der die für den Start typische gebückte Haltung in Sprint-Drills umsetzte. Inhalte des Athletiktrainings wurden modifiziert, um eine stärkere Fokussierung der Hüftstrecker und der Hamstrings im Krafttraining und in Betrachtung der Kraft-Geschwindigkeitsrelation für ein „Power“-Training der hüftstreckenden Muskulatur bei hohen Geschwindigkeiten zu integrieren. Außerdem wurden im Training Übungen absolviert, die speziell das Fußaufsatzverhalten und ein schnelles Kippen des Unterschenkels für den horizontalen Fußabdruck schulen.
Und das Ergebnis?
Die deutschen Athleten*innen holten bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking zwei Gold- und eine Silbermedaille. Damit gelang ein historischer Doppelsieg für die deutschen Skeletonis auf dem „Fliegenden Schneedrachen“ – so wurde die Bahn im „Yanqing National Sliding Center“ von Peking offiziell genannt. Die ersten deutschen Skeleton-Medaillen der Männer bei Olympischen Winterspielen überhaupt, errangen Christopher Grotheer (BRC Thüringen) mit Gold und Silbermedaillengewinner Axel Jungk vom BSC Sachsen Oberbärenburg. Der sensationelle Olympiasieg von Hannah Neise (BSC Winterberg) war ebenfalls die erste Goldmedaille der Frauen bei Olympischen Winterspielen nach Silber und Bronze 2010 in Vancouver. Voraussetzung dafür war vor allem der Trainingsfleiß der Sportler*innen, aber auch eine ausgeklügelte wissenschaftliche Trainingsmethodik sowie der Einsatz von Hightech-Sportgeräten. Die Skeletonschlitten müssen klar definierten Regularien entsprechen und individuell auf die Fahrerinnen und Fahrer abgestimmt sein.
Die deutschen Skeletonis erhielten hierfür die Unterstützung durch das FES, das sich für die Entwicklung, Konstruktion und Fertigung von Wettkampfschlitten und spezieller Messschlitten zur Analyse des Geräteverhaltens während der Fahrt sowie die Anfertigung spezieller Kufen verantwortlich zeigt.