Damit der letzte Schuss ins Schwarze trifft

Wer im Biathlon ganz vorn landen möchte, braucht neben einer schnellen Laufzeit eine hohe Treffsicherheit. Die Weltstandsanalyse des IAT hat ergeben, dass seit 2014 im Schnitt eine Trefferleistung von 95 Prozent erforderlich ist, um bei Olympischen Winterspielen aufs Podium zu kommen. Die deutschen Biathleten haben insbesondere beim Stehendschießen Probleme. Höchstens acht von zehn Schuss treffen dann ins Schwarze. Dagegen ist die Laufleistung nahezu auf dem Niveau der Besten. Grund genug für die Wissenschaftler der Fachgruppe Biathlon, sich im aktuellen Projekt dem Schießen unter hohen psychischen und physischen Belastungen zu widmen und letztlich Trainingsmethoden zu finden, mit denen die Schießleistung im Wettkampf stabilisiert werden kann.

Leistungsdiagnostik am Schießmessplatz als Grundlage

Das Schießen ist ein komplexer Vorgang. Die Parameter Zielbild, Anschlagstabilität, Abzug und Atmung beeinflussen die Leistung. Um die Schießtechnik zu beurteilen, kommt seit vielen Jahren der in Kooperation mit Expert*innen der Universität Leipzig ständig weiterentwickelte Schießmessplatz in der Leistungsdiagnostik des Deutschen Skiverbands zum Einsatz. Der Messplatz besteht aus einem Videoanalysesystem für die Technikbeurteilung, Sensoren am Gewehr zur Bestimmung der Kräfte und des Mündungsverlaufs sowie einer Sensor-Fußmatte zur Beurteilung des optimalen Stands. So wird ermittelt, wie präzise der/die Athlet*in das Gewehr hält und ob der Körperschwerpunkt richtig ist. Seit diesem Olympiazyklus kann als neuer Parameter nun auch die Atmung mithilfe des BIOPAC-Systems diagnostiziert werden. Es besteht aus einem Brustgurt mit Dehnmessstreifen. So können die Wissenschaftler zunächst einmal die Atmung unter Ruhe- und Belastungsbedingungen messen, um nachfolgend individuelle Richtwerte für die Athlet*innen zu erarbeiten. In der Leistungsdiagnostik liegt ein Augenmerk auf dem wettkampfnahen Schießen. Für die notwendige physische Belastung werden die Athlet*innen vor dem Schießen zum Skiroller-Training auf das kippbare Laufband geschickt. Psychomotorische Fähigkeiten wie Reaktion und Antizipation werden mit dem computerbasierten Testprogramm STEPS überprüft.

Generell konnten die Wissenschaftler*innen bei den Spitzenathlet*innen diagnostizieren, dass die Schießtechnikparameter  unter Ruhebedingungen auf hohem Niveau ausgebildet sind. Überraschenderweise trifft dies auch für die Untersuchung unter Belastung zu. Daraus schlussfolgerten die Wissenschaftler*innen, dass die Ursachen für eine oft unzureichende Stabilität in der Trefferleistung unter anderem im Bereich der Konzentration auf die zu realisierenden Schießübungen liegen müssen. Diese Annahme wurde durch Trainerurteil und Athleteneinschätzung bestätigt. Eine Analyse der Trainingsinhalte des IAT ergab zudem, dass es hier Reserven im wettkampfnahen Schießen gibt und es neuer Trainingsmethoden bedarf, um diesen Bereich mit höherer Qualität und Quantität auszugestalten.

Neue Trainingsmethoden für das Schießtraining  

Aus diesem Grund wurde im Rahmen eines Trainingsexperiments versucht, dieses Problem anzugehen. Dabei stand im Bereich des Grundlagenschießens zunächst die Auflösung bzw. Unterbrechung alter, eingeschliffener Handlungsmuster auf dem Programm. Um die volle Aufmerksamkeit auf das Schießen lenken zu können, ist es notwendig, sich zunächst mental darauf einzustellen. In diesem Zusammenhang wurden gemeinsam mit dem Bundestrainer Schießen Life-Kinetik-Übungen entwickelt und in den Trainingsprozess integriert.

Des Weiteren richtete sich ein Ansatz zur Verbesserung der Konzentration auf die Implementierung instabiler Unterlagen im Stehendschießen. Dabei wurden neben Wackelkissen und dickeren, weichen Matten auch spezielle instabile Bretter verwendet. Durch diese Veränderungen wird neben der Konzentration auch die Anschlagstabilität geschult, die eine entscheidende Rolle bei der sicheren Schussabgabe spielt. Erste Auswertungen deuten darauf hin, dass sich mithilfe der neuen Trainingsmethoden die Trefferleistung tatsächlich verbessert. Ob dies auch unter Wettkampfbedingungen gelingt, wird sich in der anstehenden Weltcupsaison zeigen.