Mit dem Ziel schnellstmöglich den Punkt zu erzielen, besitzen die Angriffsschläge einen leistungsrelevanten Einfluss auf den Ballwechselausgang im Spitzentischtennis der Herren. Aufgrund der Einführung eines neuen Ballmaterials im vergangenen Olympiazyklus haben sich auch die Spieleigenschaften des Balls verändert. Die Rotation ist nun geringer, der Ball springt höher. Nach subjektiven Einschätzungen der Trainer*innen ist deshalb der erste Angriffsschlag durch den Gegner leichter zu retournieren. Demzufolge muss der Besitz des ersten Angriffsschlags kein Vorteil mehr sein. Erste Einzelfallanalysen bekräftigten diese Einschätzungen*.
Das IAT hat diese Einschätzungen wissenschaftlich untersucht und aus den Analysen Trainings- und Handlungsempfehlungen abgeleitet. Ziel ist es, Erkenntnisse über leistungsrelevante Schlag- und Spielsituationen zu gewinnen. Es hat sich ergeben, dass die Qualität des ersten Angriffsschlags und die Interaktion erster Angriffs- und Folgeschlag leistungsbestimmende Faktoren im Angriffsverhalten der Weltspitze sind. Zudem ist anzunehmen, dass die Spieler*innen nach der Ballmaterialumstellung den ersten Angriffsschlag auch häufiger der Gegnerin oder dem Gegner überlassen und sich auf den Gegenangriff fokussieren. Weiterhin hat sich ergeben, dass die beiden Spielsituationen erster Angriffsschlag auf einen langen Schupf bzw. auf den Aufschlag im laufenden Olympiazyklus an Relevanz zugenommen haben.
Individualisierung für Top-Athleten
Entsprechend der Erkenntnisse hat das IAT Trainingsempfehlungen für ein wirksames Angriffsverhalten mit dem neuen Ball erarbeitet. Zum Beispiel, dass die Spieler zur Entwicklung des Zeitdrucks beim Gegner noch häufiger die Geschwindigkeit des ankommenden Balls nutzen können. Hierfür ist sowohl eine tischnähere Schlagposition als auch ein früherer Balltreffpunkt in Bezug zum Körper und der Ballflugbahn erforderlich. Auch gibt es Trainingsempfehlungen, um Angriffsschläge im Spiel variabler hinsichtlich Ballgeschwindigkeit, -platzierung und -flugkurve zu gestalten. Doch allgemeine Handlungsempfehlungen reichen bei Spitzenathleten wie Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska nicht. Denn jeder hat sein Spielsystem, das er am besten beherrscht. Um diese Stärken optimal einsetzen zu können, müssen umfangreiche Spielanalysen – auch der Gegner*innen – erfolgen. Denn es gilt herauszufinden, wie die einzelne Spielerin oder der einzelne Spieler am erfolgreichsten mit seinem System agieren kann. „In der Jugend entwickelt man das Spielsystem, was zu einem passt, wo man seine besten Schläge hat, und das versucht man immer weiter zu verbessern“, erläutert Sascha Nimtz.
So hat das IAT das individuelle Angriffsverhalten der deutschen Olympiakader dargestellt und daraus gemeinsam mit den Bundestrainer*innen und Athlet*innen Trainingsschwerpunkte festgelegt.
Um das Aufschlag/Rückschlag- und Angriffsverhalten in leistungsbestimmenden Spielsituationen und gegen verschiedene Spielsysteme der Gegner*innen zu verbessern, erfolgt prozessbegleitend und regelmäßig bei den Lehrgangsmaßnahmen ein Video-Feedback-Training.
Software-Entwicklungen: IDA und Gegner-Taktik-App
Weitere Schwerpunkte in diesem Jahr waren die Entwicklungen der Gegner-Taktik-App (GTA) und der Datenbank IDA Tischtennis – einer umfassenden, komplexen und onlinebasierten Software zur Planung, Dokumentation und Analyse von Trainings-, Wettkampf- und anderer Leistungsdaten. Dadurch wurden die wissenschaftlichen Unterstützungsleistungen im Tischtennis erweitert und der individualisierte Trainingsprozess intensiviert.